868 Rußland. (April 15 — Ende Mai.)
15. April. Die russische Regierung benützt das eingetretene
gute Verhältnis zu Deutschland zu einer neuen größeren Anleihe
von 15 Mill. Pfd. St., die hauptsächlich durch die Berliner Börse
vermittelt und auch zu einem guten Teile in Deutschland unter-
gebracht wird.
Die „Nordd. Allg. Ztg.“ sagt denn auch ganz offen: Nichts charal-
terisiere die gründliche Veränderung der gesamten Tendenz der russischen
Politik so dentlich, als daß die Kunde von einer großen russischen Finanz--
operation, welche vor wenigen Jahren eine tiefgehende Bennruhigung ver-
ursacht haben würde, heute als ein weiterer Schrikt zur Konsolidierung der
inneren Verhältnisse- des Zareureiches mit vertrauensvoller Zuversicht auf-
genommen werde. Eine sehr wesentliche Verstärkung erhalte dieser Eindruck
dadurch, daß unter den Kontrahenten der Anleihe die Seehandlungs- Sozietät
in Berlin, ein unter staatlicher Leitung stehendes Banlinstitut, mit in erster
Reihe stehe. Jedenfalls hat der russische Kredit durch die riedliche Wendung
der russischen Politik bedeutend gewonnen. Seit dieser Zeit bbaben sowohl
die Kurse der Staatspapiere als der Preis der Noten weitere Fortschritte ge-
macht. Von Ende Februar bis Mitte April ist der Kurs des Anlehens von
1877 von 94,50 auf 96,90, der Anleihe von 1880 von 73,90 auf !½# 75, der
orientalischen Anleihe von 57,60 auf 60,70 und der Kurs der Neichsnoten
von 199,25 auf 210 an der Berliner Börse gestiegen. Während noch vor
wenigen Monaten die Thüren der westlichen Börsen sich allem Kreditbegehren
Rußlands verschlossen hatten und auch für die letzte vor einigen Monaten
mit Hilfe des Hauses Mendelssohn in Berlin auf den Markt gebrachte An-
leihe von 50 Mill. Rubeln harte Bedingungen bewilligt werden mußten,
sind dieselben für das neueste Anleihen bedeutend günstiger. Der Kurs, zu
welchem die Gruppe Bleichröder, Seehandlung und ruslische Reichsbank die
Auleihe übernommen, soll zu 86 Proz. angesetzt sein. Da für diese Anleihe
nur 5 Proz. Zinsen gezahlt werden, während die letzte Anleihe u 98) 6 Proz.
Zinsen trägt, so hat die rufsische Staatslasse einen ersichtlichen Vorteil, denn
bei dem genannten Kurs hat sie effektiv für die letzte Anleihe nur 5,81 Proz.
Zinsen, für die vorige aber 6,11 Proz. zu gahlen.
Ende April. Admiral Tschihatscheff wird zum Chef des Marine-
stabes ernannt. Die russische Presse schreibt ihm die Aufgabe zu, den
Augiasstall der russischen Marine zu reinigen.
18. Mai. Der Großfürst Throufolger wird an diesem Tage
großjährig. Kaiser Wilhelm schickt zu den Feierlichkeiten und der
Gratulation seinen Enkel, den Prinzen Wilhelm, in außerordent-
licher Mission, der ersten diplomatischen mit der er betraut wird.
Die anderen Mächte begnügen sich mit ihren Botschaftern.
Ende Mai. Eine Kommission zur Neuregelung der Verwal-
tung des Generalgouvernements Turkestan hat sich über die terri-
toriale Einteilung desselben schlüssig gemacht. Es wird das General-
gouvernement in zwei „Gebiete“ geteilt.
Das nördliche Gebiet ist das des Syr-Darja, das südliche das von
Taschtend. An lehteres angelehnt, aber mit selbständiger Verwaltung, wird
ein Amu-Darja-,Bezirk“ organisiert. Der Sitz des Generalgonvernements