370 Rußland. (Mitte Juli — Sept. 17.)
Mitte Juli. In Warschau werden zahlreiche Verhaftungen
vorgenommen und wird eine Unterfuchung gegen eine angeblich revo-
lutionäre Zwecke verfolgende Gesellschaft eingeleitet.
Anf. August. Der hl. Synod erläßt eine vom Kaiser be-
stätigte Verordnung betr. Errichtung von Gemeinde-Kirchenschulen.
Solche sollen namentlich in allen Gegenden errichtet werden, wo es
an Volt schphen mangelt und solcher Gegenden gibt es sehr viele — dann
aber auch an Stelle der jetigen bäuerlichen Privatschulen treten, deren Leitung
gemeiniglich brrobscheseken Unteroffizieren oder niederen Beamten ohne ge-
nügenden Bildungsgrad anvertraut ist. Diese Schulen sollen nicht nur unter
Aufsicht der lokalen Geistlichkeit gestellt. sondern letztere soll auch als Lehr-
kraft benüzt werden. Man hofft dadurch einserseits den Unterricht au und
für sich zu verbessern, andrerseits aber auch zugleich die Stellung der Geist-
lichen und ihren Einfluß zu heben, was ebenfalls sehr notwendig erscheint,
da sich bis jetzt die russischen Landgeistlichen in einem nahezu unwürdigen
Abhängigkeitsverhältnis von der lokalen Bauernschaft befinden, wodurch ihr
Ansehen ungemein leiden muß.
20.—26. August. Große Militärmanöver der Truppen des
Gardekorps und des St. Petersburger Militärbegirks in der Nähe
von Petersburg. Der Kaiser nimmt daran persönlich Anteil und
begibt sich zu diesem Ende hin ins Lager von Krasnoje-Selo.
20. August. Mißlungenes Attentat einer Nihilistin (Kauf-
mannstochter) auf den Chef der Gendarmerie in Odessa, Obersten
Kantanskij. Die Thäterin wird ergriffen und vom Kriegsgericht
zu 20jähriger Zwangsarbeit verurteilt.
27.—29. August. Großartige Seemanöver in der Östsee, an
welchen 25 Schiffe verschiedener Größe und Kategorie teilnehmen.
8.—10. September. Gelegentlich der größeren Manöver, welche
in Polen stattfinden, besucht der Kaiser mit der Kaiserin Warschau.
11. September. Erlaß von neuen Universitätsstatuten für die
Universitäten in Petersburg, Moskau, Charkow, Kasan, Kiew und
Odessa. Die Universitäten Dorpat und Warschau werden durch die
neuen Statuten nicht berührt. Diese werden dem Einfluß von
Pobrdonoszew und Katkew zugeschrieben, enthalten indes unstreitig
manche wirklich liberale Bestimmungen, wenn auch selbstverständlich
an den russischen Universitäten von einer Freiheit für Professoren
und Studenten wie in Deutschland keine Rede ist.
15.—17. September. Zusammenkunft der drei Kaiser von
Deutschland, Oesterreich-Ungarn und Rußland in Skiernivice bei
Warschau. Alle drei sind von ihren Ministern des Answärtigen,
Fürst Bismarck, Graf Kalnoky und v. Giers begleitet, die wieder-
holt miteinander konferieren. Es ist das erste Mal, daß der Kaiser