Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 15—17.) 7
trachten müssen. Worauf es der Regierung, ihren Erllärungen zufolge,
wesentlich ankommt, das ist die Befreiung der dritten und vierten Klassen-
steuerstufe. Gerade für diese Maßregel jedoch scheint keine Mehrheit in Aus-
sicht zu stehen. Die Konservativen sind in dieser Frage gespalten: ein Teil
derselben will die Minimalgrenze der Einkommensteuer bei 1000 M gesetzt
wissen. Die Freikonservativen wollen es beim Alten lassen, wonach die Grenze
900 M bildet. Das Zentrum bezeigt für die Aufhebung der dritten und
vierten Stufe Sympathien, läßt aber die Frage wegen ihrer Beziehungen zu
den Kommunalsteuern, dem Wahlrecht u. s. w. offen. Die gleichen Bedenken
walten bei den Nationalliberalen vor, welche die jetzige Grenze für die richtige
halten, bei Beseitigung der bezüglichen Steuerstufen eine Abänderung des
Wahlrechts für notwendig erachten, vor allem aber befürchten, daß dadurch
der Kommmnalbesteuerung der feste Boden entzogen werde. Die Fortschritts-
partei mit den Sezessionisten verwirft den ganzen Gesetzentwurf und mit
demselben natürlich auch die Befreiung der fraglichen Einkommensstufen. Da
jedoch die liberalen Parteien sich in der entschiedenen Minderheit befinden,
so kommt alles nur auf das Verhalten der Konservativen und des Zentrums
an. Das letztere knüpft seine Zustimmung zu den Grundgedanken des Gesetz-
entwurfes wesentlich an die Bewilligung einer Kontingentierung der Ein-
kommensteuer. Die bisherige Klassensteuer war bekanntlich auf einen Betrag
von 42,100,000 — M kontingentiert, und die veranlagte Steuer wurde dem-
entsprcchend erhöht oder herabgesetzt. Eine solche Kontingentierung wünscht
das Zentrum nunmehr für die an Stelle der Klassen- und Einkommensteuer
tretende einheitliche Steuer. Windthorst erklärt, daß er in eine Aufhebung
des sog. Verwendungsgesetzes (vom 16. Juli 1880) nur einwilligen könne,
wenn andere gleichwertige Einrichtungen getroffen würden. Das angezogene
Gesetz bestimmt. daß die aus dem Ertrage von Reichssteuern an Preußen zu
überweisenden Summen zum Erlasse eines entsprechenden Betrages an Klassen-
und Einkommenstener, und zwar zunächst zum Erlasse von einer oder mehreren
Monatsraten der Klassensteuer und der fünf untersten Einkommensteuerstufen,
verwendet werden sollen. Indessen soll jener Erlaß nur insoweit eintreten,
als nicht über die fraglichen Summen mit Zustimmung des Landtages be-
hufs Deckung der Staatsausgaben oder behufs der Überweisung eines Teiles
des Grund- und Gebäudesteuerertrages an die Gemeinden anderweilige Ver-
fügung getroffen wird. Dieses fragliche Gesetz bezieht sich nicht bloß auf die
aus dem Ertrage der Zölle und der Tabaksteuer, sondern auch auf die infolge
weiterer Steuerreformen des Reiches jährlich zu überweisenden Geldsummen.
Betreffs der Überschüsse aus den Zöllen etc. erklärt Windthorst mit besonderer
Schärfe, daß er und seine Partei von den Bestimmungen der Franckenstein-
schen Klausel (wonach der die Summe von 130 Millionen übersteigende Er-
trag den Einzelstaaten überwiesen werden muß) kein Jota aufzugeben ge-
dächten. Über das gekennzeichnete preußische Verwendungsgesetz hingegen scheint
das Zentrum mit sich reden lassen zu wollen, und nach dem Wortlaute des
Gesetzes würde ja auch kein Hindernis vorliegen, die Bezugnahme auf die
Einkommensteuer zu beseitigen und die in Rede stehenden Überschüsse der
Reichseinnahmen der preußichen Regierung mit der Bedingung zu überlassen,
daß den Gemeinden ein Teil der Grund- und Gebäudesteuer überwiesen wird.
So würde zugleich die Reform der Staatspersonalsteuern mit einer Reform
der Kommunalbesteuerung verknüpft. Die Schwierigkeit liegt darin, daß die
konstitutionellen Parteien von dem Wegfall der Kontingentierung und der
einschränkenden Bestimmungen über die Verwendung von Reichsüberschüssen
sowohl eine Steuerüberbürdung als auch eine Minderung der parlamentari-
schen Rechte befürchten. Gegen beides machen die liberalen Parteien ent-
schieden Front. Im Namen der Nationalliberalen erklärt Hobrecht, daß die