Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

382 Rumänien. (Jan. 30.) 
Türkei. Die Pforte kann natürlich ihre eigene Provinz Östrumelien nicht 
durch eine Zollgreuze gegen sich abschließen, sie protestiert also, aber wie 
gesagt umsonst. 
15. Dezember. (Ostrumelien.) Die letzten Minister aus der 
Zeit Aleko Paschas dimittieren und werden durch entschiedene An- 
hänger einer künftigen Union mit Bulgarien ersetzt. 
29. Dezember. Die Pforte schließt mit Montenegro eine neue 
Vereinbarung über die gemeinsame Grenzlinie ab. Nur ein einziges 
muselmanisches Dorf wird dadurch an Montenegro abgetreten. 
Ende Dezember. In Macedonien finden schon seit längerer 
Zeit fortwährend Agitationen und Unruhen statt, die für die Pforte 
fatal und gefährlich sind. 
Dieselben haben auch die Pforte zu einer strengen Untersuchung der 
Angelegeuheit veranlaßt. Sämtliche Antworten von dem Generalgouverneur 
und den Distriktsbehörden bestreiten kategorisch das Vorhandensein von Un- 
ordnungen, aus (genommen die Einfälle von Räuberbanden aus Bulgarien und 
Ostrumelien. Die Banden — so wird hinzugefügt — sind in den beiden 
Ländern regelrecht organisiert und finden offene Unterstützung seitens der Be- 
hörden, wenn sie über die Grenze verfolgt werden. Auch sind Klagen laut 
geworden, daß Schulen, die vorgeblich Erziehungszwecken dienen und aus- 
schließlich bulgarisch sind, die Pflangstätten der anlgitalion sind, von wo aus 
Emissäre in das Land geschickt werden, welche die Bewohner aufwiegeln und 
Gerüchte betreffs der türkischen Unterdrückung der Christen in Umlauf setzen. 
2. Numänien. 
30. Jannar. Kammer: Der Ministerpräsident Joan Bratiano 
tritt den Nadikalen und seinem bisherigen Freunde Rosetti begüglich 
der bevorstehenden Verfassungsreform scharf entgegen. 
Auläßlich der Beratung über die projektierte Erhöhung der Gehalte 
der Gerichtsbeamten kommt nämlich der Ministerpräsident auch auf das im 
Laufe der Debatte erwähnte Projekt einer Bestellung der richterlichen Be- 
amten durch Volkswahl und damit auch auf die Theorie des allgemeinen. 
gleichen und direkten Wahlrechts in einer Weise zu sprechen, welche im schroff- 
sten Widerspruche zu den bezüglichen Anschanungen G. A. Nosetti's srehl. 
Joan Bratianv erklärt kurz und bündig, daß diese demokratischen Ideale sich 
war in der Theorie sehr schön und verlockend ausnehmen, daß aber in der 
hnen, Wirklichkeit die Sachen wesentlich anders liegen, und daß Rumänien 
noch einen langen Entwicklungsprozeß durchnmachen habe, bis man es als 
reif für die Einführung des allgemeinen Wahlrechts und für die Bestellung 
seiner Richter durch Wahl erklären könne. übrigens ist dieser Gegensatz in 
Sachen der inneren Politik nicht die einzige Meinungsdifferenz, welche der 
zwar schon oftmals gefährdeten, aber doch immer wieder erneuerten Solidarität 
zwischen Joan Bratiano und C. A. Nosetti, dem bisherigen Dioskurenpaare 
der nationalliberalen Partei, ein Ende zu machen droht. Rosetti ist ein 
geradezu fanatischer Anhänger jener Nichtung, welche im republikanischen 
Frankreich das Musterbild für die Zukunft Rumäniens erblickt. Lediglich 
Opporkunitätsmonarchist, hat er aus dieser seiner Überzeugung auch niemals