384 Rumänien. (Mai 20 — Juni 15.)
20. Mai. Kammer und Senat haben sich bez. der Ver-
fassungsrevision über die Wahlreformfrage geeinigt.
Nach ihren übereinstimmenden Beschlüssen verschwindet das erste, die
Grund-= und Realitätenbesitzer mit einer fundierten Nente von 300 Dukaten
umfassende Kammerwahlkollegium insofern vom Schauplatz, als dasselbe in
jedem Distrikte mit der früheren zweiten Wahlgruppe der Wähler aus der
Klasse des unbeweglichen Besihes vereinigt wird. Für letztere war nämlich
als Zensus ein Einkommen von 100 Dukaten festgesetzt, und es entspricht diese
Einkommenssumme fast vollständig dem Zensus von 1200 Fr., welcher von
nnn ab das aklive Wahlrecht jür die Gruppe der Grund- und Nealitäten=
besitzer bedingt. Nunmehr gehören zum ersten Kammerwahlkollegium alle
jene Rumänen, welche neben allen anderen gesetzlich erforderlichen Bedingungen
ein aus Grundbesit oder aus dem Besit von Häusern fließendes Einkommen
von mindestens 1200 Fr. besitzen. Das frühere drikte Kammerwahlkollegium
erscheint nunmehr als zweiler, und die ehemalige vierte Wählergruppe als
dritter Kammerwahllörper. Und zwar haben nach dem von der Kammer ge-
faßten Beschlusse jene Wähler im zweiten Wahllörper zu stimmen, welche
ihren bleibenden Wohnsit in Städten haben und eine direkte Jahressteuer
von mindesteus 20 Fr. entrichten. Vom Zeusus ausgenommen sind alle jene,
welche eine Volksschule genossen haben, ferner die sogenannten freien Erwerbs-
zweige (Advokaten, Litteraten, Ätzte u. s. w.) und die pensionierten Offiziere.
Wähler des drikten Kollegiums sind alle übrigen im Vollbesitze der bürger-
lichen Rechte befindlichen Steuerträger derart, daß die in diese Gruppe #9
hörigen, des Lesens und Schreibens tundigen Mähler eines ieden #iferist
direkt, alle anderen aber durch Wahlmänner ihre Stimme abgeben.
Ende Mai. Kammer und Senat haben sich auch über die
Abschaffung der Nationalgarde und die Ordnung der Preßfreiheit
geeinigt.
Die Revision des Artikels über die Freiheit der Presse hatte vorher
zu lebhaften und teilweise sehr heftigen Kontroversen in den Kammern und
in der Presse Veraulassung gegeben. Die Gepflogenheit der rumänischen
Parteipresse, nicht nur allein die politische Richtung, sondern auch das Privat-
leben ihrer Gegner zum Gegenstand nugualifizierbarer Schmähungen und
böswilliger Verleumdungen zu machen, ließ im Senat den Wunsch lant
werden, die Ehre des Privatmannes mit einem wirksameren Schutze gegen
die leidenschaftlichen Aussälle des publizistischen Parteiterrorismus zu um-
geben, als ihn die bei Preßklagen stets auf „Nichtschuldig“ erkennenden
rumänischen Schwurgerichte zu bieten vermögen. Dem gegenüber wurde
jedoch von der Majorität der Kammer das Verlangen gestellt, den bisherigen
Wirkungskreis der Geschwornengerichte aufrecht zu erhalten. Nach längeren
Verhandlungen wurde nun ein Kompromiß erzielt, welches Preßdelikte gegen
die Person des Königs und die königliche Familie, sowie auch gegen fremde
Sonveräne dem Urteil der Schwurgerichte entzieht und den gepchabichen Ge-
richten zur Bestrafung überweist.
6. Iuni. Ein kal. Dekret ordnet die Bildung von 32 Miliz-
regimentern an Stelle der bisherigen Nationalgarde an.
15. Juni. Wie vorauszusehen war, hat die Durchführung
des gegen den Hausierhandel erlassenen Gesetzes mit einem Schlage
viele Hunderte israelitischer Familien erwerbs= und subsistenglos ge-