Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

10 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 18-19.) 
es möchte ferner die Schließung der Schalter an diesen Tagen auf weitere 
Stunden, etwa von 9 Uhr früh bis 5 Uhr abends, ausgedehnt werden.“ Die 
Begründung des Autrags ist weniger überzeugend als salbungsvoll, indem 
der Abg. Gabler z. B. ausruft:. „Trachtet nach dem Reiche Gottes und der 
Gerechtigkeit, so wird Euch das Übrige alles zufallen!" was die Gegner ledig- 
lich als „Reden zum Fenster hinaus“ betrachten. Der Minister sagt zwar 
Zu, den Beschluß bei der Krone vertreten zu wollen, meint aber, daß die 
Beschränkung des Schalterdienstes in geschäftlichen Kreisen große Unzufrieden- 
heit erregen werde. Die liberale Presse erklärt höhnend, wenn es den Patrioten 
so sehr um die Sonntagsheiligung zu thun sei, so möchten sie es zunächst 
einmal versuchen, die Wirtschaften und die Tanzlokale an Sonntagen zu 
schließen und dann erst an das Seelenheil der Postbeamten denken. Praktisch 
sei diesen Beamlen mit dem Gabler' schen Antrag gar nichts gedient, denn sie 
werden trotz geschlossenem Schalter in ihren Bureaus Sonntagedienst thun 
müssen, wenn nicht in dem über die ganze Erde ausgebreiteten Verkehrsnetz 
im Staate Bayern ein Loch entstehen solle. 
18.—19. Januar. (Preußen.) Abg.-Haus: Debatte über 
einen Antrag Reichensperger auf Wiederherstellung der drei kirchen- 
politischen Artikel der preußischen Verfassung. Die Konservativen 
beantragen eine motivierte Tagesordnung, die indes den Ultramon- 
tanen durchaus nicht genügt. Bedeutsame, energische Rede des 
Kultusministers v. Goßler. Schließlich wird die motivierte Tages- 
ordnung wie der Antrag selbst mit großer Majorität abgelehnt. 
Die Rede des Kultusministers v. Goßler ist leider zu umfangreich, 
um sie milteilen zu können. Im Wesentlichen sagt er folgendes: Er ersuche 
das Haus um die Ablehnung des Antrags und erkläre, die Regierung werde, 
falls der Antrag angenommen würde, ihre Zustimmung versagen.  Die ab- 
lehnende Haltung der Regierung beruhe nicht in dem Wortlaut des Antrags, 
sondern in der Anwendung, der Auslegung, welche die katholische Kirche zur 
Zeit der Geltung der drei Artikel denselben gegeben habe, und welche nun 
auch wieder die Antragsteller demselben geben wollten. Die Bestimmungen 
hätten stets zu Schwierigkeiten geführt; man sei längst auf Abhilfe bedacht 
gewesen, zumal nach der Erwerbung der neuen Provinzen 1866. In letzteren 
wären die Verhältnisse anders und besser geordnet gewesen, als in den älteren. 
Es wäre ein schwerer politischer Fehler, wenn man jetzt die aufgehobenen 
Verfassungsartikel wiederherstellte. Der Minister widerlegt die Vorredner: 
Die Lage  der Angelegenheit der Begnadigung des Bischofs von Münster 
mache ihm im Augenblicke noch nicht möglich, darüber zu sprechen; die An- 
griffe der Vorredner bezüglich der Bischöfe von Köln und Posen erscheinen 
ungerechtfertigt. Das Begnadigungsgesuch des Erzbischofs von Köln sei be- 
reits im Jahre 1882 abgewiesen worden. Sollte ein solches für den Erz- 
bischof von Posen eingereicht werden, so würde es auch zurückgewiesen werden. 
Das ist längst abgethan, zumal die Regierung überzeugt ist, daß die Rück- 
berufung dieser Bischöfe nicht im Interesse des Staates liege, und nicht dazu 
dienen würde, dem Frieden, den wir nicht von einem Jahr zum anderen 
haben wollen, sondern von dem wir uns eine längere Dauer versprechen, 
förderlich zu sein. Dies ist die Stellung des Staates. Von den jetzigen 
Ministern wird kein einziger die Begnadigungsordre für die beiden Exzbischöfe 
unterschreiben. Anbelangend die Verhandlungen mit Rom, handle es sich 
nicht um Konzessionen, sondern die Regierung sei entschlossen, einen selb- 
ständigen Weg zu Verbesserungen auf dem bezüglichen Gebiete einzuschlagen.
	        
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