Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 20.) 11 
Solche Verbesserungen seien auf allen Gebieten der Verwaltung bereits mit 
dem besten Erfolge eingeführt. Die Regierung werde damit fortfahren und 
hoffe, in noch weiterem Umfange den Ubelständen, die wirklich vorhanden sind, 
abzuhelfen. Wenn angenommen werde, daß die Regierung sich irgendwie 
durch Anträge und sonstige Agitationen drängen lassen werde, so möge man 
überzeugt sein, daß dies nicht gelingen werde. Man würde vielmehr da- 
durch die Regierung in ihrem Vorgehen eher retardieren. Die Regierung 
müsse suchen, die Last zu tragen, welche ihr durch die Aufgabe erwachse, die 
Grenzen der Machtbefugnisse des Staates der Kirche gegenüber innezuhalten. 
Das jetzige Ministerium werde nicht das letzte sein, welches unter dieser Last 
stehe; immerhin sei es aber seine Pflicht, die Last derjenigen zu erleichtern, 
die nach ihm berufen sein werden, dieselbe zu trage 
Das Zentrum ist über die Art, wie sein Vorstoß von allen Seiten 
abgeschlagen wurde, und namentlich über den Kultusminister wütend, und 
auch in Nom ist man über den letzteren sehr ungehalten und macht daraus 
in der vatikanischen Presse auch kein Hehl. Die „Germania“ droht ganz 
offen, daß das Zentrum nun auch bei den Wahlen mit der Fortschrittspartei 
sich verbinden und in allen Fragen der Wirkschaftspolitik Opposition machen 
werde. Angeblich „um Klarheit in die Lage zu bringen“, bringt das Zentrum 
bereits einen neuen Antrag, auf Aufhebung des Sperrgesetzes, ein, kündigt 
sofort noch weitere für Freiheit des Messelesens und der Sakramentspendung 
und für eine allgemeine Revision der Maigesetze an. Wenn die Konserva- 
tiven dasselbe auch hierin nicht unterstüßen sollten, so wird ihnen die Freund- 
schaft aufgekündigt und soll ihnen gezeigt werden, daß sie lediglich von der 
Gnade des Zentrums abhängen. Die gereizte Polemik mit der konservativen 
Presse macht nachgerade nur mehr wenig Hehl daraus, daß den Ultramon- 
tanen in letzter Linie alle staatlichen Interessen und Fragen ganz gleichgü 
und lediglich Mittel zu anderen, rein kirchlichen, Zwecken sind und daß 
die parlamentarische Macht, die ihnen eingeräumt ist, nur als Vehikel zur 
Wiederherstellung und Festigung eines auswärtigen „Sonveräns“, des Papstes, 
auszunützen bemüht sind. Diese Einsicht dringt allmählich doch auch bei den 
Konservativen durch und bringt auch ihrerseits „Klarheit in die Lage“. 
20. Januar. (Deutsches Reich.) Die „Köln. Ztg.“ bringt 
neuerdings von Berlin aus die Natur der Allianz zwischen Deutsch- 
land und Oesterreich-Ungarn und die der Tripelallianz mit Italien 
zur Sprache. Ob ihre Enthüllungen begründet sind, bleibt indes 
nach wie vor völlig unsicher. 
Die Köln. Ztg. bestreitet, daß Italien, wie die französische Presse zu- 
versichtlich wissen will, sich nur dazu verpflichtet habe, Oesterreich nicht an- 
zugreifen und behauptet vielmehr, daß Italien dem Friedensbündnisse zwischen 
Deutschland und Oesterreich unter denselben Bedingungen wie die beiden 
andern Mächte beigetreten sei. Man habe bisher angenommen, daß die 
vertragsmäßige  Bundeshilfe durch den deutsch- österreichischen Vertrag von 1879 
erst für den Fall festgesetzt sei, daß Deutschland oder Oesterreich von zwei 
Seiten angegriffen werde. Es sei ihr indes die verbürgte Mitteilung ge- 
worden, daß das Bündnis doch etwas enger geschlossen sei und der casus 
foederis schon dann eintrete, wenn eine der Mächte angegriffen werde und 
die Gefahr nahe und drohend sei, daß eine zweite Macht sich mit der an- 
greifenden verbinde. Setze man also den Fall, daß die Franzosen Deutsch- 
land angriffen, um Elsaß-Lothringen zurückzuerobern. Wenn Rußland sich 
dabei ganz ruhig verhalte, keine Rüstungen mache und seine Neutralität er- 
kläre, so würde Oesterreich nicht verpflichtet sein, Deutschland in einem solchen 
 
	        
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