Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

474 Uebersicht der politischen Eniwichtlung des Jahres 1884. 
man möchte fast sagen, gern oder ungern schenken müssen. Und 
das ist im Jahre 1884 mehr als je vorher zu Tage gekreten. Noch 
zu Anfang des Jahres war die europäische Frontstellung, um es 
so auszudrücken, gegen Frankreich gerichtet, das kein Hehl daraus 
machte, daß es fort und fort nur nach einer Gelegenheit spähe, die 
ganze neue Ordnung der europäischen Dinge seit 1871 wieder über 
den Haufen zu werfen, bis es endlich so vollkommen isoliert war, 
daß ihm gar nichts anderes übrig blieb, als wenigstens vorläufig 
in das Unvermeidliche sich zu schicken und seine diesfälligen Pläne 
auf unbestimmte Zeit zu vertagen. Zu Ende des Jahres 1884 
war dagegen die europäische Frontstellung nicht mehr, wenigstens 
nicht mehr in der Weise wie bisher gegen Frankreich, sondern 
vielmehr gegen England gerichtet, das zwar um seiner militärischen 
Schwäche als Landmacht willen unter den so gänzlich veränderten 
Verhältnissen auf dem europäischen Kontinente längst nicht mehr 
wie früher ins Gewicht fiel, dagegen überall außer Europa nicht 
sowohl bestimmte erworbene Rechte in gewaltiger Ausdehnung, son- 
dern geradezu Privilegien in Anspruch nahm, die ihm Europa auf 
die Dauer einzuräumen entschieden nicht gewillt war. Beides lag 
zwar zunächst im Interesse Deutschlands und Deutschland stand 
denn auch unzweifelhaft an der Spitze der einen wie der anderen 
europäischen Frontstellung, aber es war dies doch nur dadurch mög- 
lich, daß Deutschland in einem wie im anderen Falle, gegen Frank- 
reich wie gegen England, nicht nur seine eigenen, sondern auch die 
Interessen aller anderen großen Mächte vertrat. 
England England hatte übrigens schon vorher, Ende 1883 und anfangs 
negyp. 1884 in Aegypten eine Schlappe erlitten, die seine schwachen Seiten 
ten. ins hellste Licht stellten, eine Schlappe, die es bis Ende 1884 nicht 
auszuwetzen vermochte, die es vielmehr von einer Verlegenheit in 
die andere führte, so daß es heute schon ziemlich sicher ist, daß es 
seine präponderierende Stellung in jenem Weltknotenpunkte auf die 
Dauer nicht aufrecht zu halten im stande sein, sondern an Gesamt- 
enropa wird abgeben müssen, wie es übrigens nur recht und billig 
ist. Zwar läßt sich nicht leugnen, daß England auch ein euro- 
päisches Interesse vertrat, als es seinen Entschluß ankündigte, die 
Herrschaft Arabi Paschas, der die ausschließliche Herrschaft der 
Aegypter in Aegypten und die möglichst vollständige Ausschließung 
der Europäer und alles europäischen Einflusses in Aegypten ver- 
folgte, über Aegypten und den schwachen Khedive seinerfeits nicht
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.