Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

Ueberlichl der polilischen Eulwichelung des Jahres 1894. 407 
Die Thronrede kündigte alle die genannten Vorlagen an und fuhr Vie 
dann fort: „Im Anschlusse an den revidierten Gesetzentwurf wegen. bran 
der Dampfersubvention werden Ihnen Mitteilungen über die unterdie Lolo- 
den Schutz des Reichs gestellten überseeischen Ansiedlungen und die nil. 
politik. 
darüber gepflogenen auswärtigen Verhandlungen zugehen. Wenn 
diese Anfänge kolonialer Bestrebungen nicht alle Erwartungen, die 
sich daran knüpfen, erfüllen können, so werden sie doch dazu bei- 
tragen, durch Entwickelung der Handelsverbindungen und Belebung 
des Unternehmungegeistes die Ausfuhr unserer Erzeugnisse dergestalt 
zu fördern, daß unfere Industrie zu lohnender Beschäftigung ihrer 
Arbeiter befähigt bleibt. Im Einverständnis mit der frangösfischen 
Regierung habe Ich die Vertreter der meisten seefahrenden Nationen 
hierher eingeladen, um über Miltel zur Förderung des Handels mit 
Afrika und Sicherung desselben vor Störungen durch internationale 
Reibungen zu beraten. Die Bereilwilligkeit der beteiligten Regie- 
rungen, der Einladung zu entsprechen, ist ein Beweis der freund- 
schaftlichen Gesinnung und des Vertrauens, von welchen alle Staaten 
des Auslandes Deutschland gegenüber erfüllt sind. Diesem Wohl- 
wollen liegt die Anerkennung der Thatsache zu Grunde, daß die 
kriegerischen Erfolge, die Gott Uns verliehen, Uns nicht verleiten, 
das Glück der Völker auf anderem Wege, als durch die Pflege des 
Friedeus und seiner Wohlthaten zu suchen. Ich freue Mich dieser 
Anerkennung und insbesondere darüber, daß die Freundschaft mit 
den durch Tradition der Bäter, die Verwandtschaft der regierenden 
Häuser und die Nachbarschaft der Länder Mir besonders nahestehen- 
den Monarchen Oesterreichs und Rußlands durch die Begegnung in 
Skiernievice derart hat besiegelt werden können, daß Ich ihre un- 
gestörte Dauer für lange Zeit gesichert halten darf. Ich danke dem 
allmächtigen Gott für diese Gewißheit und die darin beruhende 
starke Bürgschaft des Friedens.“ Troh der dazwischen eingestreuten 
Mahnung an den Reichstag, „dem Reiche neue Einnahmsquellen zu 
erschließen“, fand die Thronrede im In= und Auslande eine überaus 
günstige Aufnahme. Namentlich in England erklärte die Presse 
ziemlich einstimmig: dieses Kaiserreich ist wirklich der Friede. Allein 
im Reichstage herrschte bald nicht Friede, sondern entschiedenereage des 
Krieg gegen den Reichskanzler und die Negierung des Kaisers. Der henr, 
Reichskanzler sah das voraus und ging ihm daher von vorneherein in 
energisch entgegen. Schon am 26. November sprach er sich gelegent= Neichs- 
lich eines Antrages der Deutsch-Freisinnigen auf Gewährung von tag. 
Schulthess, Europ. ceschichtskalender. XXV. Bd. 32