28 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 5.)
Liberalen den Zutritt offen hält und ermöglicht. Hiernach rechnen wir auf
die Zustimmung unserer Parteigenossen. Denn nur in der Einigkeit, die wir
anbahnen, sind wir den Angriffen gewachsen, die heute unsere gemeinsame
Sache bedrohen, nur sie entspricht den Anforderungen der konstitutionellen
Entwicklung, welche eine wesatliche Bürgschaft für die Freiheit und Wohl-
fahrt des deutschen Volkes bildet."
Folgende Einigungspunkte wurden als Programm angenommen:
„1) Entwicklung eines wahrhaft konstitutionellen Verfassungslebens in ge-
sichertem Zusammenwirken zwischen Regierung und Volksvertretung und durch
gesetzliche Organisation eines verantwortlichen Reichs- ministeriums. Abwehr
aller Angriffe auf die Rechte der Volksvertretung, insbesondere Aufrecht-
erhaltung der einjährigen Finanzperiode, der jährlichen Einnahmebewilligung.
der Redefreiheit. 2) Wahrung der Rechte des Volkes: Erhaltung des ge-
heimen, allgemeinen, direkten Wahlrechtes; Sicherung der Wahlfreiheit, ins-
besondere auch durch Bewilligung von Diäten; Preß-, Versammlungs-, Ver-
einsfreiheit; Gleichheit vor dem Gesetz ohne Ansehen der Person und der
Partei; volle Gewissens- und Religionsfreiheit; gesetzliche Regelung des Ver-
hältnisses zwischen dem Staate und den Religionsgesellschaften unter gleichem
Rechte für alle Bekenntnisse. 3) Förderung der Volkswohlfahrt auf Grund
der bestehenden Gesellschaftsordnung bei voller Wahrung der Gleichberech-
tigung, der Selbstthätigkeit und des freien Vereinigungswesens der arbeiten-
den Klassen, Eintreten für alle auf Hebung derselben zielenden Bestrebungen;
Bekämpfung auch des Staatssozialismus, sowie der auf Bevormundung und
Fesselung des Erwerbs- und Verkehrslebens, der Gewerbefreiheit und Frei-
zügigkeit gerichteten Maßregeln. 4) Im Steuersystem Gerechtigteit und
Schonung der Volkskraft: Entlastung der notwendigen Lebensbedürfnisse;
keine Zoll- und Wirtschaftspolitik im Dienste von Sonderinteressen; keine
Monopole; Gesetzgebung und wirksame Aufsicht des Reiches im Eisenbahn-
wesen. 5) Erhaltung der vollen Wehrkraft des Volkes; volle Durchführung
der allgemeinen Dienstpflicht bei möglichster Abkürzung der Dienstzeit; Fest-
stellung der Friedenspräsenzstärke innerhalb jeder Legislaturperiode. — Dies
alles zur Befestigung der nationalen Einigung Deutschlands, in Treue gegen
den Kaiser und auf dem verfassungsmäßigen Boden des Bundesstaates.“
5. März. (Preußen.) Abg.-Haus: genehmigt den Rest des
Etats und das Etatsgesetz und lehnt einen Antrag Windthorsts auf
Beseitigung des Sperrgesetzes nach sehr animierter Debatte mit 209
gegen 152 Stimmen ab (18 Konservative, 21 Fortschrittler und 2
Sezessionisten stimmen mit den Ultramonlanen für den Antrag).
In der Debatte erklärt Minister v. Goßler -- und das ist der Gewinn
derselben — mit aller Bestimmtheit, daß das Staatsministerium sich durch
keine Einflüsse, innerhalb oder außerhalb des Hauses, von dem Wege, den
es sich zur Erreichung des Friedens vorgezeichnet, werde abbringen lassen,
und daß es den Zentrumsantrag betreffend die Aufhebung des Sperrgesetzes
eben deshalb nicht annehmen könne, weil er die Mittel zu jenem Ziele durch-
kreuze. Diese Erklärung, kurz, präzis, sicher, wie sie abgegeben wird, erhält
ihre Bedeutung dadurch, daß sie nicht bloß im eigenen Namen, sondern,
worauf das Hauptgewicht zu legen, im Namen der Regierung gemacht wird.
Kirchenpolitische Differenzen im Schooße des Staatsministeriums gibt es also
nicht. Auf die Frage der Begnadigung der Erzbischöfe von Posen und Köln
geht der Minister überhaupt nicht ein. Windthorst wurde, als er merkte,
daß sein neuester Sturmangriff abgeschlagen werde, förmlich grob. Im Be-