Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mär; 7—11.) 31
29 Stimmen den Gesetzentwurf betr. den Bau einer Reihe von
Neben- oder Sekundärbahnen.
7. März. (Deutsches Reich.) Reichstag: wählt auf An-
trag Windthorst's durch Akklamation v. Levezow (kons.), v. Francken-
stein (ultram.) und Hoffmann (Fortschr.) zu Präsidenten. Als darauf
der Präsident der verstorbenen Mitglieder, darunter auch Laskers,
erwähnt, ergreift Rickert die Gelegenheit, für die vielen Beweise von
Teilnahme an dem Verlust Laskers, namentlich auch dem nord-
amerikanischen Repräsentantenhause zu danken, was von seite der
Rechte Einspruch, von seite der Linken Beifall hervorruft, wobei
Richter sogar von „unbefugter Einmischung“ des Reichskanzlers
spricht, was jedoch Minister v. Bötticher scharf zurückweist.
7. März. (Preußen.) Die wegen angeblicher Brandstiftung
in ihrer eigenen Synagoge angeklagten und in erster Instanz auch
wirklich verurteilten Juden von Neustettin werden von dem (aus-
schließlich aus Christen zusammengesetzten) Schwurgerichte in Konitz
freigesprochen.
Der Sachverhalt ist in Kürze folgender. In Neustettin brannte im
Jahre 1881, wenige Tage nachdem einer der antisemitischen, zur Richtung
des Hofpredigers Stöcker gehörigen Agitatoren, Dr. Henrici, dort eine Ver-
sammlung abgehalten hatte, die Synagoge ab. Bei der in diesem Orte herr-
schenden Aufregung konnte es nicht überraschen, daß die jüdischen Einwohner
die Antisemiten der Brandstiftung verdächtigten, während diese behaupten,
die Juden hätten ihre Synagoge selbst in Brand gesteckt, um die hohe Ver-
sicherungssumme zum Bau einer neuen Synagoge verwenden zu können.
Dieser Auffassung schien auch die Staats- anwaltschaft beizupflichten. Gegen
eine Reihe „hervorragender Mitglieder der jüdischen Gemeinde wurde Anklage
erhoben. Der Progeß wurde vor dem Landgericht in Köslin dahin ent-
schieden, daß die Angeklagten, denen gewinnsüchtige Motive direkt nicht nach-
gewiesen werden konnten, zwar von der Brandstiftung freigesprochen, aber
wegen Beihilfe zu dem Verbrechen verurteilt wurden. Das Reichsgericht
aber vernichtete dieses Urteil, einiger Formfehler halber, und verwies die
Sache vor das Landgericht in Konitz, und hier erfolgte die völlige Frei-
sprechung der Angeklagten. Die Neustettiner Antisemiten waren selbstver-
ständlich aufgeregt über diese Wendung der Sache, und als die Freigesprochenen
aus Koniß nach Neustettin zurückkehrten, entgingen sie nur mit genauer Not
der Wut des Pöbels, der seinen Ärger über das vereitelte Volksgericht an
den Häusern der jüdischen Einwohner ausließ, ohne daß die Polizei im
stande gewesen wäre, dem Unfug vorzubeugen.
11. März. (Preußen.) Abg.-Haus: genehmigt die schlesische
Landgüterordnung nach der Vorlage der Regierung mit der sog.
Höferolle, nachdem Minister Lucius sie mit der Notwendigkeit gesetz-
geberischer Maßregeln zu Verhütung des Ruins des Bauernstandes
gerechtfertigt hatte. Ebenso genehmigt das Haus die ihm von der