Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

44 Das deutscht Reich und seine einzelnen Glieder. (Ende März — April 1.) 
wurde damals sogar eine Auflassung desselben um deswillen als zweckmäßig 
empfohlen, weil wegen der umliegenden Höhen die Außenforts so weit vor- 
geschoben werden müßten, daß sich eine gegenseitige Unterstützung derselben 
schwerlich noch erzielen lassen würde. Seitdem hat die Dansiger Werft je- 
doch einen umfassenden Erweiterungsbau erfahren, und es ist an ein Auf- 
geben dieses dadurch doppelt wichtigen Land- und Seeplatzes um so weniger 
zu denken, weil auch der dritte deutsche Kriegs- hafen hierher verlegt werden 
soll. Ein Vorgehen mit dem Hafen- wie mit dem Erweiterungsbau der 
See- und der dem Lande zugewendeten Werke Danzigs steht jedoch erst nach 
der Vollendung des Ausbaues von Thorn und der Landbefestigung von Kiel 
zu gewärtigen. 
— März. (Preußen.) Die Reichskanzlerfrage tritt durch 
das Gerücht, der Reichskanzler wolle die preußische Ministerpräsident- 
schaft niederlegen, um sich allein den Angelegenheiten des Reiches 
widmen zu können, in einer neuen Gestalt auf. Es findet jedoch 
wenig Glauben, daß der Reichskanzler dies wirklich beabsichtige und 
noch weniger, daß der Kaiser dazu seine Einwilligung geben werde. 
In der That ist kaum anzunehmen, daß der leitende Staatsmann sich 
der preußischen Ministerpräsidentschaft entledigen könne, ohne die in der bis- 
herigen Verbindung dieser Funktion mit der Reichskanzlerschaft liegenden 
Vorteile für die einheitliche Leitung der deutschen und der preußischen Politik 
zu gefährden. Fürst Bismarck selbst hat jene Verbindung früher für not- 
wendig gehalten, und müßte seine Auffassung wesentlich geändert haben, wenn 
er auf die Kombination beider Stellungen in seiner Person Verzicht leisten 
wollte. Als in der Sitzung des Reichstags vom 5. März 1878 der Gesetz- 
entwurf über die Stellvertretung des Reichskanzlers beraten wurde, äußerte 
sich Fürst Bismarck folgendermaßen: „Durch den Art. 17 der Reichsverfassung  
war die Bedeutung des Reichskanzlers plötzlich zu der eines kontrasignieren- 
den Ministers und nach der ganzen Stellung nicht mehr eines Unterstaats- 
sekretärs für deutsche Angelegenheiten im auswärtigen preußischen Ministerium, 
wie es ursprünglich die Meinung war, sondern zu der eines leitenden Reichs- 
ministers heraufgeschoben. Darauf trat auch die von mir sofort, von meinem 
damaligen Bertreter, Hrn. v. Savigny, nicht mit derselben Bereitwilligkeit 
anerkannte Notwendigkeit ein, daß der Reichskanzler und der preußische Mi- 
nisterpräsident eine und dieselbe Person sein müßten.“ Der Fürst betonte 
dann weiterhin die Zweckmäßigkeit, daß der Posten eines Reichskanzlers und 
der Posten eines preußischen Ministerpräsidenten in derselben Hand seien; er 
habe sich auch durch Enthaltung von der Annahme preußischer Geschäfte 
während eines Jahres (als Graf Roon Ministerpräsident war) davon über- 
zeugt, daß jene Verbindung absolut notwendig sei, und zwar nicht, weil 
sonst der preußische Einfluß auf das Reich verloren gehe, son- 
dern „weil der deutsche Einfluß auf Preußen verloren geht, 
weil die Vertretung des Reiches in Preußen eine so starke sein 
maß, wie sie nur der leitende Minister ausüben kann, und nicht 
ein beisitzender Minister ohne Ressort.“ Nach diesen Äußerungen des Reichs- 
kanzlers ist es nicht unwahrscheinlich, daß die weitere Erleichterung der Ge- 
schäftslast auch jetzt nicht durch den Verzicht auf die Ministerpräsidentschaft, 
sondern durch andere Mittel herbeigeführt werden soll. 
1. April. (Deutsches Reich.) Der Reichskanzler feiert seinen 
70. Geburtstag.