46 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 5.)
die verbündeten Regierungen auf die Festigkeit der unter ihnen geschlossenen
Verträge bauen, würde Zweifel über die Zuverlässigkeit der Verträge herbei-
führen, auf denen der Bund der deutschen Staaten beruht. Wenn solche
Zweifel auch unter friedlichen Verhällnissen vielleicht keine für jedermann
erkennbaren Gefahren im Gefolge haben, so würde doch in Zeiten politischer
Krisen jede Abschwächung des Vertrauens auf die Sicherhet der Bundes-
verträge von bedenklicher Wirkung sein können. Je mehr die Regierung
Seiner Majestät des Königs sich bewußt ist, unter schweren Kämpfen und
Gefahren erfolgreich dafür eingetreten zu sein, daß dem deutschen Volke das
für seine nationale Geltung erforderliche Maß von Einheit gewonnen wurde,
um so sorgfältiger ist sie darauf bedacht, zu verhüten, daß dieser Gewinn
durch politische Mißgriffe wieder in Frage gestellt werde. Einen solchen
Miigriff würde sie in jeder Überschreitung der Bedürfnisgrenze in unita-
rischer Richtung erblicken. Die Einrichtung verantwortlicher Mi-
nisterien im deutschen Reiche ist nicht anders möglich, als auf
Kosten der Summe von vertragemäßigen Rechten, welche die
verbündeten Regierungen gegenwärtig im Bundesrat üben. Die
wesentlichsten Regierungsrechte der Bundesstaaten würden von einem Reichs-
ministerium absorbiert werden, dessen Thätigkeit durch die Art der ihm
auferlegten Verantwortlichleit dem maßgebenden Einflusse der jedesmaligen
Majorität des Reichstags unterliegen müßte. Man wird nicht fehlgehen,
wenn man in der von der neuen fortschrittlichen Partei erstrebten Einrich-
tung eines solchen Ministeriums ein Mittel zur Unterwerfung der Re-
gierungsgewalt im Reiche unter die Mehrheitsbeschlüsse des
Reichstags erblickt. Die königlich preußische Regierung würde in einer
derartigen Verschiebung des Schwerpunktes der Regierungsgewalt eine große
Gefahr für die Dauer der neugeborenen Einheit Deutschlands erblicken. Selbst
wenn es gelänge, feste Majoritäten aus den heute im Reichstag vorhandenen
Parteien zu bilden, würde die königliche Regierung doch die Herstellung eines
parlamentarischen Regiments für eine sichere Einleitung zum Verfall
und zur Wiederauflösung des deutschen Reiches halten. Die Regierung eines
großen Volkes durch die Mehrheit einer gewählten Versammlung ist untrenn-
bar von all' den Schäden und Gefahren, an welchen ein jedes Wahlreich
nach den Erfahrungen der Geschichte zu Grunde geht. Die Regierungsgewalt
geübt von Parlamenten, welche aus allgemeinen Wahlen hervorgehen, unter-
liegt derselben Gefahr, die Bedürfnisse des Landes dem Bedürfnisse des Ge-
wähltwerdens unterzuordnen, durch welche bisher jedes Wahlreich seinem
Verfall und seinem Untergange entgegengeführt worden ist. Der Gedanke an
die Errichtung eines verantwortlichen Reichs- ministeriums, wie er nicht bloß
in Gestalt eines Programms, sondern in den Verhandlungen des Reichstags
von den Jahren 1869 und 1878 zu Tage getreten, ist deshalb nach der
Überzeugung der Regierung überall da, wo er im Reichstag und bei den
Wahlen geltend gemacht wird, im Interesse des Reichs, seiner Verfassung
und der Sicherheit seines Fortbestandes zu bekämpfen, einmal weil er sich
nicht verwirklichen läßt, ohne die vertragsmäßigen Rechte der
Glieder des Reichs und das Vertrauen auf die Sicherheit der
Bundesverträge zu schädigen, dann aber auch, weil er eines von
den Mitteln bildet, durch welche der Schwerpunkt der Reichs-
regierung in die wechselnden Majoritäten des Reichstags hin-
übergeleitet werden soll, und weil diese Überleitung, wenn sie gelänge,
die Wiederauflösung der deutschen Einheit nach der Überzeugung der Regie-
rung im Gefolge haben würde." Bayern erklärt: „Die königlich bayerische
Regierung befinde sich mit der Äußerung der königlich preußischen Regie-
rung in vollkommenem Einverständnisse, und es sei in der Lage, sich jeder