Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 5.) 47 
Form anzuschließen, in welcher dieses Einverständnis zum Ausdruck gebracht 
werden wolle. Die königlich bayerische Regierung sei zu thätiger Mitwirkung 
an der nationalen Entwickelung auf föderativer Grundlage jederzeit bereit, 
eine Fortbildung der Reichsverhältnisse in unitarischer Richtung aber werde 
sie stels mit Nachdruck bekämpfen. Aus diesem Grunde stehe sie dem Ge- 
danken der Errichtung eines verantwortlichen Reicheministeriums durchaus 
ablehnend gegenüber, und zwar sowohl mit Rücksicht auf die Stellung des 
Bundesrats und die durch die Grundverträge gewährleisteten Rechte der Einzel- 
staaten, als auch mit Rücksicht auf die Zukünftige Entwickelung und den ge- 
sicherten Fortbestand des Reiches.“ — Der Inhalt der Erklärungen enthält 
kein irgend überraschendes Moment; denn wie die Forderung einzelner Par- 
teien nach verantwortlichen Reichsministerien fast so alt ist als der Norddentsche 
Bund, so ist auch die Stellungnahme der verbündeten Regierungen dagegen 
von Anfang an eine durchaus ablehnende gewesen. Es war am 16. April 
1869, als ein Antrag Twesten-Münster auf Einsetzung verantworllicher Bundes- 
ministerien im Norddeutschen Reichstag zur Verhandlung kam. National- 
liberale, Freikonservative und Fortschrittspartei sprachen damals dafür, Zen- 
trum und Altkonservative dagegen; die sächsische und die weimarische Regie- 
rung verwahrten sich gegen den Antrag und Graf Bismarck trat in längerer 
Rede schon damals, teilweise mit denselben Gründen wie jetzt, den Antrag- 
stellern entgegen, stimmte aber, als zum Schluß Lasker den Antrag so aus- 
legte, daß man ein Analogon mit dem englischen Kabinet schaffen wolle, in 
dem der Premierminister thatsächlich der Chef des Ministeriums ist, dem alle 
Ressortminister sich unterordnen, halb und halb zu, indem er erklärte, daß 
er für seine Person als Bundeskanzler  denselben nach dieser Auslegung viel 
annehmbarer finde. Der Antrag Twesten fand mit 111 gegen 100 Stimmen 
Annahme, hatte aber keine Folgen. — Das zweite Mal beschäftigte sich im 
Frühjahr 1878 das Parlament mit dieser Angelegenheit, und zwar nicht in 
Form eines Antrages, sondern im Laufe der Debatte über das Gesetz betr. 
die Stellvertretung des Reichskanzlers. Am 5. März erklärten Bayern durch 
den Minister v. Pfretzschner und Württemberg durch Hrn. v. Mittnacht, sie 
stünden der Errichtung von Reichsministerien durchaus ablehnend gegenüber, 
da hierin eine Schwächung des Bundesrates und eine Beeinträchtigung der 
Autonomie der Einzelstaaten liege. v. Bennigsen sagte, man ersehe aus 
den Worten des bayerichen Ministers, mit welchen Schwierigkeiten die Weiter- 
entwicklung des deutschen Reiches zu kämpfen habe. Gegenüber der Abneigung 
der Einzelstaaten gegen die Errichtung von Reichsministerien sei zu konsta- 
tieren, daß die Parteien, deren föderative Gesinnung außer Zweifel, sowohl 
im konstitnierenden Reichstage wie späler Reichsministerien angestrebt hätten. 
Im weiteren Verlaufe seiner Rede erkannte allerdings v. Bennigsen an, daß 
die von ihm grundsätlich gebilligte Forderung verantworllicher Reichsmini- 
sterien, auf welche auch Hr. v. Stauffenberg wenige Tage vorher zu sprechen 
gekommen war, im Angenblick nicht zu erreichen sei. Der Fürst Reichs- 
kanzler warnte damals in längerer Rede vor den Versuchen fortwährender 
Verfassungsänderungen und erklärte, den Bundesrat halte er für eine bessere 
Einrichtung als die Reichsministerien, schon deshalb, weil das größere Maß 
politischer Erfahrungen, das sich in ihm aus den verschiedenen deutschen 
Staaten konzentriere, durch Reichsministerien nicht ersetzt werden könne. Da- 
mals fügte er indes noch mildernd und beschwichtigend hinzu: „Ich bin mir 
vollständig bewußt, mit fast allen, vielleicht mit allen Antragstellern über 
das Ziel, das wir verfolgen, ganz einig zu sein; wir wollen Deutschland 
diejenige Gestaltung geben — im Norden und im Süden wenn wir können —, 
in der es am stärlsten und am einigsten ist und in der es die meisten Be- 
dingungen seiner Wohlfahrt vereinigt. über die Wege, die dazu führen, 
 
	        
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