Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 3-7) 63
von theologischen Fakultäten und von sonstigen angesehenen Theologen und
Juristen verurteilt worden. Es hat sich gezeigt, daß dieses Konsistorialerachten
ganz unmöglich gewesen wäre, wenn ich, wie es die nackteste Gerechtigkeit er-
forderte, gehört worden wäre.“ Er fügt bei: „Ich bin jeden Tag bereit,
über meine Lehre und meinen Wandel die allerstrengste Rechenschaft abzu-
legen" und verlangt dringend, daß „ die öffentliche Brandmarkung meines
ehrlichen und christlichen Namens öffentlich getilgt werde.“ Von einer Ge-
währung des Begehrens hat nichts verlautet.
3. Juni. (Preußen.) Der König hat die Kabinetsordre
unterzeichnet, welche den Kronprinzen zum Präsidenten und Fürst
Bismarck zum stellvertretenden Vizepräsidenten des Staatsrats er-
nennt. Die Publikation dieser sowie der Ernennungen zu Mitglie-
dern des erweiterten Staatsrats ist vorbehalten.
Ob durch die Wiederherstellung des Staatsrats in den Beziehungen
zwischen dem Ministerpräsidenten und den Ressortministern thatsächlich irgend
etwas geändert wird, ist zu erörtern überflüssig. Der kollegialische Charakter
des preußischen Staatsministeriums ist längst bis zur Unkenntlichkeit ver-
wischt. An die Stelle der hart mahlenden Steine, über welche Fürst Bis-
marck einst so beweglich klagte, sind weiche getreten. Nachgerade unterscheiden
sich die Dinge in Preußen von denen im Reiche nur scheinbar. Die Staats-
sekretäre der Reichsämter fungieren, wenn auch mit eigener Verantwortlichkeit,
nur als Stellvertreter des Reichskanzlers; die preußischen Ressortminister sind
formell gleichberechtigte Kollegen des Ministerpräsidenten, thatsächlich üben
sie ihre Funktionen in der Voraussetzung der übereinstimmung mit dem
Ministerpräsidenten aus. Die politische Stellung des Staatsrats wird sich
erst unter gewissen Eventualitäten herausstellen.
5. Juni. (Deutsches Reich.) Delegierte des Kollegiums
der Berliner Kaufmannsältesten, sowie der Handelskammern von
Köln, Frankfurt a. M., Karlsruhe, Mannheim, Hannover, Bremen,
Hamburg, Stettin, Königsberg, Magdeburg, Breslau, Danzig, Leip-
zig und Dresden treten in Berlin zusammen und beschließen bezüg-
lich des Stempelsteuergesetzentwurfs eine Petition an den Bundesrat
zu richten, welche in folgenden vier Punkten gipfelt:
1) Der Stempel auf Immobilien ist nicht maßgebend für den Stempel
auf Objekte des Handelsverkehrs, weil bei beweglichen Gütern ein möglichst
schneller Umsatz wünschenswert ist; 2) das Gesetz würde zur Folge haben,
daß zum Nachteile des Landes wenige große Mittelpunkte die jetzt im Lande
verbreitete kommerzielle Arbeit in sich auffangen würden; 3) die Kontroll-
bestimmungen erscheinen nicht annehmbar, weil sie das Verkehrsleben unter
polizeiliche Aufsicht stellen; 4) eine auf den Umschlag gelegte Geschäftssteuer
würde, da sie nirgends anderswo existiert, den deutschen Handel im inter-
nationalen Verkehr schwer schädigen.
7. Juni. (Deutsches Reich.) In einer Sitzung des zur Vor-
beratung der Errichtung einer deutschen Bank für überseeischen Handel
gebildeten Ausschusses erklären die Vertreter der zur Teilnahme ein-
geladenen Banken, Bankhäuser und Exporthäuser, daß sie darauf ver-
zichten müßten, sich für das Unternehmen zu interessieren, solange der