Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 11.) 65 
Die Vergütungssätze sind überall um je 60 ct. gegen die ursprüng- 
lichen Vorschläge erhöht. Doch rechnet man immerhin auf eine 
Mehreinnahme von 11 bis 12 Mill. gegen bisher. 
11. Juni. (Deutsches Reich.) Reichstag: erklärt sich neuer- 
dings nach einem Antrage Windthorsts mit 217 gegen 40 Stimmen 
für Beseitigung des sog. Expatriirungsgesetzes gegen renitente Geist- 
liche im Kulturkampf. An eine Genehmigung des Beschlusses seitens 
des Bundesrats ist indes kaum zu denken. 
11. Juni. (Deutsches Reich.) Große Hafenverteidigungs- 
Manöver in Kiel, denen der Chef der Admiralität v. Caprivi Wichtig- 
keit genug beilegt, um ihnen in eigener Person beizguwohnen. 
Zu diesem Zwecke ist das ganze Terrain, wo über Triumph oder 
Vernichtung der großartigen und stolzen Hafenanlagen, die sich im Hinter- 
grunde der Enge ausbreiten, im Falle eines Krieges entschieden werden soll. 
in ein waffenstarrendes Gewand gekleidet, das alle Erfordernisse und Be- 
dingungen vereinigt, welche ein moderner Seekrieg zu stellen vermag. Es ist 
noch nicht lange her, daß sich die deutsche militärische Macht zur See hier 
diese Grundvesten an der Ostseeküste errichtet hat; dessen ungeachtet aber ver- 
gißt man bei der Bewunderung dieser großartigen Rüstung ganz die kurze 
Vergangenheit, da noch an eben dasselbe Ufer der dänische Danebrog Angst 
und Zagen zu tragen vermocht hatte. Vor einigen dreißig Jahren noch 
kannte man weder eine deutsche Flotte noch einen deutschen Kriegshafen; in 
vollständiger Ohnmacht zur See befangen, mußten wir damals alles über 
uns ergehen lassen, was das winzige Dänemark uns zuzuteilen für gut hielt. 
Der herrliche Kieler Hafen blaute und dehnte sich zwar ebenso wie heute 
zwischen seinen malerischen, im Fruchtsegen prangenden Ufern, aber weder 
Forts noch Kanonen schützten seinen Strand, und trotz aller Siege, die unsere 
Waffen auf dem Schlachtfelde zu Lande erfochten, konnte noch im Jahre 1818 
ein einziges dänisches Kriegeschiff, die „Galatea“, ruhig auf der Föhrde kreuzen 
und die ganze Schiffahrt der Stadt Kiel mit einem drückenden Bann belegen. 
II. Juni. (Preußen.) Eine kgl. Kabinetsordre trifft 71 Er- 
nennungen in den neu hergestellten Staatsrat, darunter aus den 
Parlamentskreisen: Reichstagspräsident v. Levetzow, Herrenhauspräsi- 
dent Herzog v. Ratibor, die Abgg. Arnim-Boitzenburg. Dietze-Barbi, 
Minnigerode, Gneist, Schorlemer-Alst; ferner Bennigsen, Miquel und 
den Bischof von Fulda. 
Im ganzen zählt man 41 Staatsbeamte und Offiziere, 12 Guts- 
besitzer, 6 Kaufleute und Industrielle, 4 Geistliche, 4 Provinzial- und Kom- 
munalbeamte. Viele dieser Herren sind allerdings durch ihren Beruf und 
ihre Erfahrungen recht wohl im stande, dem Staat einen Rat zu erteilen; 
aber Fähigkeit und Tüchtigkeit sind nicht die einzige Rücksicht gewesen, wo- 
von sich die Regierung bei der Auswahl der Staatsräte hat leiten lassen. 
Die politische Gesinnung hat offenbar dabei eine Hauptrolle gespielt; dies geht 
aus dem außerordentlich großen Übergewicht hervor, mit welchem die kon- 
servative Partei vertreten ist. Auf mehr als ein Achtel ist die Zahl der 
nichtkonservativen Mitglieder schwerlich zu veranschlagen. Wie dieser Staats- 
rat sich bewähren wird, kann nur die Erfahrung lehren. Was seine Auf- 
Schulthess. Europ. Geschichtskalender. XXV. Bd. 5 
 
  
 
	        
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