88 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 9.)
Die „Nordd. Allg. Ztg.“ zählt in einem Rückblick auf die Thätigkeit
des Abg.-Hauses in der verflossenen Legislaturperiode die gesetzgeberischen
Leistungen des Hauses auf. Sie erwähnt zunächst die definitive Besei-
tigung der ersten und zweiten Klassensteuerstufe, durch welche die
gesamte arbeitende Bevölkerung im engeren Sinne von den direkten Staats-
lasten befreit, zugleich aber auch dem Steuerexekutor des Staates das Haupt-
gebiet seiner Thätigkeit verschlossen sei. Im Zusammenhang hiemit stehe
die am Ende der dritten Session vereinbarte Entlastung der kommunalen
Verbände durch Überweisung der für Preußen aus den Zollerhöhungen
entfallenden Mehreinnahmen u. s. w., sowie auch die gelungene Regelung
des Pensionswesens der Volksschullehrer, durch welche, abgesehen
von der für den beteiligten Stand gewiß hochwillkommenen Regelung dieser
schwierigen Materie, ebenfalls ein Akt der mit der Reichssteuerreform
intendierten teilweisen Uebernahme der Schullasten auf den Staat erfolgen
würde. In weiterer Beziehung zu der wirtschaftlichen Fürsorge und sozia-
len Pflege werden von der „Nordd. Allg. Ztg.“ aufgeführt: die Land-
güterordnungen für Brandenburg und Schlesien und auf dem Gebiete
der Eisenbahnverstaatlichung die den eigentlichen Abschluß derselben
bewerkstelligenden Maßnahmen, sowie die zur Ergänzung und Erweiterung
der Anlagen und zum Ausbau des Sekundärbahnnetzes bewilligten und teil-
weise bereits verwendeten beträchtlichen Mittel. Auch die nach vielfachen
Vorbemühungen zum Abschlusse gelangte Konsolidationsgesetzgebung
für die Gebiete des rheinischen Rechts und für Hohenzollern und endlich die
Herabsetzung des Zinsfußes der Staatsanleihen gehören zu den wirtschaft-
lichen Ergebnissen der abgelaufenen Legislaturperiode. Auf dem Gebiete der
Selbstverwaltungsgesetzgebung ist die Ausdehnung derselben auf Hannover
und auf Hessen - Nassau erfolgt, neben einer Vereinfachung der verwal-
tungsgerichtlichen Organisation für den ganzen Staat, so daß auch dieses
Gebiet immer mehr dem völligen Ausbau sich nähert. „Auf dem kirchen-
politischen Gebiete wurde durch das 1883 erlassene Gesetz der Boden
für den Kulturkampf-Frieden geebnet: es sind damit die Härten der Mai-
gesetzgebung so weit beseitigt, daß der Staat erwarten kann, der andere
interessierte Teil werde nunmehr für die gewünschte organische Revision
durch thatsächliches Entgegenkommen seinerseits die Bedingungen schaffen.
Wenn die in dieser Beziehung gehegten Erwartungen bisher nicht erfüllt
sind, so hat doch gerade das am Anfang der Legislaturperiode gegebene
Gesetz die Friedensliebe des Staates genügend dokumentiert, um den Vor-
wurf hinfällig zu machen, auf diesem Gebiete sei die Legislaturperiode über-
haupt unfruchtbar geblieben.“
9. Mai. (Sonntagsarbeit.) Reichstag: Debatte über das
Verbot der Sonntagsarbeit.
Die Arbeiter-Schutz-Kommission hat nur die Frage der Sonntags-
arbeit erledigt, über die Frage der Beschäftigung der Frauen und Kinder
hat dieselbe keine Beschlüsse gefaßt. Der Antrag der Kommission geht da-
hin, einen neuen Paragraph in die Gewerbeordnung einzuschieben: „Die Ge-
werbetreibenden können die Arbeiter zum Arbeiten an Sonn- und Festtagen
nicht verpflichten. Sie dürfen dieselben an Sonn- und Festtagen nicht be-
schäftigen in Fabriken, Werkstätten und bei Bauten.“ Der Bundesrat soll
Ausnahmen für Gewerbebetriebe, deren Natur eine Unterbrechung nicht ge-
stattet, sowie für Reparaturen festsetzen; in dringenden Fällen soll die Orts-
polizeibehörde die Sonntagsarbeit gestatten dürfen. Dagegen beantragt der
Abg. Buhl für den Fall, daß die der X. Kommission überwiesenen Anträge
in der gegenwärtigen Session nicht mehr zur Erledigung gelangen, unter