Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 21.) 95
sein Lebensende als einen mit Preußen im Krieg befindlichen Souverän an-
gesehen und die dieser Stellung entsprechende politische Haltung beobachtet,
wie das aus der Anlage hervorgeht. Der Herzog von Cumberland ist durch
seine Kundgebung vom Juli 1878 in die gleiche Stellung gegen Preußen
eingetreten. Der Herzog hat seitdem seinen Ansprüchen an Hannover nicht
entsagt und die Haltung seiner Anhänger im hannoverschen Lande ist bis in
die Gegenwart von der Art, daß selbst ein persönlicher Verzicht des Herzogs
von Cumberland auf die von ihm erhobenen Ansprüche an Hannover der
königlichen Regierung keine Bürgschaft für das Aufhören der auf Losreißung
Hannovers von Preußen gerichteten Bestrebungen der Welfenpartei gewähren
würde. Der bei diesen Bestrebungen gemachte Vorbehalt, daß die Abtrennung
des Königreichs Hannover von Preußen auf gesetzlichem Wege herbeigeführt
werden solle, ist bedeutungslos, da der gesetzliche Weg durch die gegebenen
Verhältnisse naturgemäß ausgeschlossen und nur der gewaltsame möglich ist.
Bei der reichstreuen Gesinnung der Bevölkerung im Herzogtum Braunschweig
dürfte die Welfenpartei in dieser keinen nennenswerten Anhalt finden, der
Herzog von Cumberland aber würde sich auch als Herzog von Braunschweig
den Einflüssen der Partei, an deren Spitze Se. Königliche Hoheit bisher steht
und deren vornehmste Leiter als seine Mandatare für seine Interessen thätig
sind, nicht entziehen können. Die Thronbesteigung des Herzogs würde des-
halb die unvermeidliche Folge haben, daß sich in Braunschweig unter der
staatlichen Autorität eines der Teilhaber an der souveränen Bundesgewalt
ein Stützpunkt für verfassungswidrige Bestrebungen bilden würde, deren Spitze
gegen die vom Reich garantierte Integrität des preußischen Staates gerichtet
wäre. Die politische Haltung des Herzogs von Cumberland, wie sie in amt-
lichen Kundgebungen hervorgetreten, ist jederzeit geeignet gewesen, die welfische
Partei in der Verfolgung ihrer Ziele zu ermutigen. In dem Notifikations-
schreiben vom Juli 1878 hat der Herzog den Protest erneuert, welchen der
König Georg V. unter dem 23. September 1866 gegen Preußen erhoben hat
und die in diesen beiden Schriftstücken enthaltenen Erklärungen werden in
keiner Weise durch das Notifikationsschreiben des Herzogs vom 18. Oktober
1884 oder sein Besitzergreifungspatent von demselben Datum invalidisiert.
Auf Grund der beiden erstgenannten Dokumente befindet sich der Herzog von
Cumberland noch heute im ideellen Kriegszustande gegen Preußen, und bei
seinem Regierungsantritt müßte, wenn nicht Preußen und Braunschweig dem
deutschen Reich angehörten, rechtlich der Kriegszustand zwischen beiden Staaten
eintreten. Diese rechtliche Situation gewinnt eine praktische Bedeutung durch
die Thatsache, daß mit dem Herzogtum Braunschweig gerade diejenigen han-
noverschen Gebiete grenzen, in welchen nach Ausweis der Wahlen zum Reichs-
tag die welfische Partei die Mehrheit der Bevölkerung bildet. Der Herzog
von Cumberland würde in seiner benachbarten Residenz nicht wohl imstande
sein, Verbindungen und Zumutungen abzuwehren, welche den innern Frieden
des Reichs in Frage stellen. Wenn die Landeshoheit in Braunschweig mit
allen ihren Rechten an der Reichsregierung in die Hände eines Fürsten ge-
legt würde, der einem Teil der Bevölkerung von Hannover als Prätendent
auf die gesamte preußische Provinz dieses Namens gilt, so würde Se. Ma-
jestät der König von Preußen die Fürsorge für die Sicherheit im Lande selbst
in die Hand nehmen, wenn nicht die Institutionen des Reichs die Mittel
zur Verhütung unmöglicher Zustände darböten. Unter diesen Umständen
würde, auch wenn das Recht des Herzogs zur Succession ein prinzipiell un-
bestrittenes wäre, die Regierung des Herzogs von Cumberland in Braun-
schweig und die damit verbundene Beteiligung an der Reichsregierung politisch
unzulässig sein, weil die innere Sicherheit des Reiches dadurch gefährdet würde.
Se. Majestät der König von Preußen beabsichtigt nicht, der weitern Entschlie-