Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 13.—15.) 103
13. Juni. (Zanzibar.) Die englische Regierung weist ihren
Generalkonsul Kirk in Zanzibar an, dem Sultan ernstlich anzuraten,
seine Truppen nicht in die von Deutschland beanspruchten Gebiete
vorzuschieben.
Nach dem englischen „Standard“ und der „Köln. Ztg." soll die
deutsche Regierung die Abberufung des englischen Generalkonsuls in Zanzi-
bar verlangt haben. Demgegenüber reproduziert die „Nordd. Allg. Ztg." die
folgende Korrespondenz des „Daily Telegraph“: „In meinem gestrigen Tele-
gramm erwähnte ich einer in einem Londoner Blatte gemachten Mitteilung
bezüglich der Stellung Deutschlands zu Zanzibar. Ich bin in der Lage, po-
sitiv versichern zu können, daß der größte Teil jener Mitteilung absolut falsch,
der Rest sehr übertrieben war. Die Nachricht des Londoner Blattes müßte
in der That die Befürchtung erwecken, daß die Beziehungen zwischen Deutsch-
land und England bedauerlicherweise wieder sehr gespannter Natur geworden
seien. Dies ist aber keineswegs der Fall; die beiden Regierungen befinden
sich im Gegenteil, was Zanzibar angeht, im vollsten Einverständnis. Es ist
kein Schritt in jener Angelegenheit geschehen, über den man nicht vorher ge-
meinsam beraten hätte, und von beiden Seiten werden die schwebenden Unter-
handlungen in einer Weise geführt, die jedes Mißtrauen ausschließt und von
den gegenseitig freundlichsten Gesinnungen Zeugnis ablegt.“
14. Juni. (Volkspartei.) Die in Mannheim tagende
7. Generalversammlung der deutschen Volkspartei lehnt einen Antrag,
mit der in Bildung begriffenen demokratischen Partei Norddeutsch-
lands in ein engeres Verhältnis zu treten, mit 56 gegen 42 Stim-
men ab.
Die Fusion mit den norddeutschen Demokraten wird hauptsächlich von
den Frankfurter Parteimitgliedern, welche in ihrer Eigenschaft als „engerer
Ausschuß“ einen offiziellen Vertreter zur Generalversammlung der demokra-
tischen Partei entsendet haben, befürwortet. Als Grund wird insbesondere
die Notwendigkeit betont, gegen die Fortschrittspartei, welche durch die Fusion
mit den Sezessionisten den letzten Rest demokratischen Geistes verleugnet habe,
Stellung zu nehmen. Gegen die Fusion mit den Demokraten wird geltend
gemacht, daß die Volkspartei auf förderativem Standpunkt stehe, während die
neue norddeutsche Partei dieses Prinzip nicht vertrete.
14. Juni. (Russischer Botschafter.) Der Kaiser empfängt
den neuernannten kaiserlich russischen Botschafter Grafen Paul Schu-
waloff in feierlicher Antritts-Audienz.
15.—16. Juni. Deutscher Innungstag in Berlin.
Der Innungstag faßt Resolutionen zu gunsten der Einführung des
Befähigungsnachweises, der Beschränkung der Lehrlinge auf die Innungs-
meister, Heranziehung der freien Meister zu Umlagen für die gewerblichen
Einrichtungen der Innung (Fachschulen, Herbergen u. s. w.), zu gunsten
der Bildung von Fachinnungen eventuell innerhalb ganzer Kreise oder Re-
gierungsbezirke; der Innungstag befürwortet ferner die Einrichtung von Hand-
werkerkammern und Einsetzung eines Reichsinnungsamtes, verlangt Beschrän-
kung der Gefängnisarbeit auf den Gefängnis- und Militärbedarf, Änderung
der Submissionswesens und Wiedereinführung des Konkursprivilegiums der
Handwerker für gelieferte Materialien und Arbeiten.