Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

108 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 30.) 
Die Landes-Versammlung, in der aus den Maßnahmen und den 
Äußerungen der herzoglichen Landesregierung geschöpften Überzeugung, daß 
dieselbe die vorstehende Auffassung der Landes-Versammlung teilt, überläßt 
es der Erwägung der herzoglichen Landesregierung, ob die diesseitigen Bevoll- 
mächtigten zum Bundesrate zu ermächtigen sind, dem Antrage durch formelle 
Abstimmung sich anzuschließen, oder ob auf eine solche zu verzichten sei.“ 
Da ein Abgeordneter Bedenken dagegen erhebt, daß die Resolution 
ausspreche, durch die thatsächlichen Mitteilungen des preußischen Antrages 
sei die der Reichsverfassung widerstreitende Stellung des Herzogs von Cumber- 
land nachgewiesen, erklärt der Staatsminister Graf Görtz: Die Anfrage und 
die Bedenken des Herrn Vorredners versetzten ihn in die Notwendigkeit, auf 
einige Thatsachen näher einzugehen, die bislang zum Teil der Öffentlichkeit 
entzogen, zur Beseitigung der hervorgehobenen Zweifel indessen durchaus 
geeignet und daher füglich nicht länger mit Stillschweigen zu übergehen seien. 
Man werde vielleicht ohne die soeben gegebene Anregung Anlaß genommen 
haben, dieselben mittels einer besonderen Vorlage zur Kenntnis der Ver- 
sammlung zu geeigneter Zeit gelangen zu lassen. Wie man längst erfahren 
haben werde, habe S. k. H. der Herzog von Cumberland, nachdem das von 
ihm erlassene Patent von Seiten des herzoglichen Staatsministeriums unter 
Zustimmung des Regentschaftsrats zurückgewiesen worden sei, unterm 2. No- 
vember v. J. dem herzoglichen Staatsministerium ein Schreiben zugefertigt, 
in welchem zunächst gegenüber den „getroffenen Anordnungen“ Verwahrung 
eingelegt und dann auf einen — seitdem durch die Presse bekannt gewordenen 
— Brief an Se. Hoheit den hochseligen Herzog Wilhelm vom 14. Jan. 1879 
Bezug genommen werde. Daß jenes Schreiben vom 2. November vor. Irs. 
der Landes-Versammlung nicht mitgeteilt sei, liege zum Teil daran, daß es 
während einer Vertagung eingelaufen sei und an und für sich nicht eben 
mehr als eine bloße Rechtsverwahrung enthalte, auf welche es nach Ansicht 
des herzoglichen Staatsministeriums einer Erwiderung nicht bedurft hätte, 
habe aber zum anderen Teile wesentlich darin seinen Grund, daß es erst in 
dem oben erwähnten, unter dem 14. Jannar 1879 an den Herzog Wilhelm 
geschriebenen Brief des Herzogs von Cumberland — auf welchen es aus- 
drücklich Bezug nehme — seine nähere Ergänzung finde. Als dieser Brief, 
der allerdings die Anerkennung aller vom hochseligen Herzog für das Herzog- 
tum erlassenen Gesetze und abgeschlossenen Verträge und demgemäß auch die 
Anerkennung des Herzogtums als eines Gliedes des deutschen Reiches un- 
umwunden ausspreche, seiner Zeit hier eingegangen, sei auf besonderen Befehl 
Sr. Hoheit des hochseligen Herzogs es unterlassen, ihn zur Kenntnisnahme 
der Landesvertretung, die gerade mit der Vorberatung des Gesetzes vom 
16. Februar 1879 beschäftigt gewesen, zu bringen, und es habe diese Maß- 
regel eben in der Rücksichtnahme auf Se. königliche Hoheit den Herzog von 
Cumberland selbst ihren Grund gefunden. Denn an demselben Tage, von 
welchem jener Brief an Se. Hoheit den Herzog Wilhelm datiere, dem 
14. Januar 1879, habe der Herzog von Cumberland einen zweiten, in dem- 
selben Kouverte mit enthaltenen Brief an Se. Hoheit den Herzog Wilhelm 
gerichtet, welchem Abschrift eines von dem ersteren unter dem 18. September 
1878 an die Königin von England geschriebenen Briefes als Anlage zu ver- 
traulichem Gebrauche beigefügt gewesen sei. In diesem letzteren Briefe aber 
habe der Herzog von Cumberland seine Ansprüche auf Hannover auch für 
den Fall seiner Succession in Braunschweig voll und unumwunden aufrecht- 
erhalten! (Vgl. 18. September.) Im Hinblick auf diese Thatsachen, die 
jeden Zweifel in der wahren Willensmeinung des Herzogs von Cumberland 
zu beseitigen geeignet seien, könne der Versammlung die Annahme der Kom- 
missionsanträge nur anheimgegeben werden. —
	        
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