Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

4 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 7. - 8.) 
die zu schonen er alle Ursache habe, eingehen; „aber meine Herren, die 
innere Lage, der Kulturkampf ist ein zu großes Hindernis und ich werde 
schwerlich jetzt Ihnen behilflich sein können.“ Schließlich habe der Reichs- 
kanzler erklärt: Sie müßten ihm nun schon erlauben, ihre Ausarbeitungen, 
Karten etc. zum weiteren Studium zurückzubehalten, nicht als „schätzenswertes 
Material“, wie einer der Herren meinte, um im Aktenschrank zu verschwinden, 
sondern um wirklich diese Frage mit Eifer zu studieren. Der gegenwärtige 
Zeitpunkt sei der denkbar ungünstigste, erst müßte ein fruchtbarer Boden in 
der Nation zu solchen Unternehmungen geschaffen werden, dann müsse sich 
die äußere Situation verändern. Er rechne mit Gewißheit darauf, daß dies 
geschehen werde und dann sei der Zeitpunkt zum Handeln gekommen. Sie 
möchten sich einstweilen in Geduld fassen, 8—9 Jahre könnten immer noch 
vergehen, bis diese Frage für ihn reif sei. 
7. Januar. Kongo-Konferenz genehmigt in ihrer 7. Sitzung 
die folgende später als Artikel 9 in die Kongo-Akte aufgenommene 
Erklärung betreffend den Sklavenhandel (St. A. 45, 8601). 
„Da nach den Grundsätzen des Völkerrechts, wie solche von den 
Unterzeichnungsmächten anerkannt sind, der Sklavenhandel untersagt ist und 
die Operationen, welche, sei es zu Lande oder zur See, dem Handel Sklaven 
zuführen, gleichfalls als untersagt betrachtet werden müssen, so erklären die 
Mächte, die in den Länderstrecken, welche das vereinbarungsmäßig festgestellte 
Becken des Kongo bilden, Souveränetätsrechte oder Einfluß ausüben oder 
ausüben werden, daß diese Länderstrecken weder als Markt noch als Durch- 
gangsstraße für den Handel mit Sklaven, gleichviel welcher Rasse, benutzt 
werden sollen. Jede dieser Mächte verpflichtet sich zur Anwendung aller ihr 
zugänglichen Maßregeln, um diesem Handel ein Ende zu machen und die- 
jenigen, welche ihm obliegen, zu bestrafen." 
Die Beschlußfassung über die Erklärung betr. die Förmlichkeiten bei 
neuen Besitzergreifungen an den afrikanischen Küsten wird vertagt. 
8. Januar. (Unfall-Versicherung.) Der Reichstag nimmt 
seine Arbeiten wieder auf. Demselben sind Gesetzentwürfe betreffend 
die Ausdehnung der Unfall-Versicherung auf die im Transport- 
Gewerbe beschäftigten Personen (mit Ausnahme der staatlichen Ver- 
kehrs-Anstalten) und auf die land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter 
zugegangen. 
In der Begründung wird die Zahl der unter das Unfallversicherungs- 
gesetz vom 6. Juli 1884 fallenden Personen auf 2,776,891 in 156,529 Be- 
trieben, die Zahl der unter den Gesetzentwurf wegen Ausdehnung der Unfall- 
und Kranken-Versicherung auf das Transportgewerbe fallenden auf 800,000, 
der zu versichernden land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter auf 6,978,579 
Personen berechnet, sodaß nach Annahme der Gesetze im ganzen 10½ Mil- 
lionen Arbeiter gegen Betriebs-Unfälle versichert sein würden. 
Der die Transport-Gewerbe umfassende Entwurf führt gleichzeitig 
die Kranken- und Unfall-Versicherung ein. Der auf die land- und forst- 
wirtschaftlichen Arbeiter bezügliche Entwurf bezweckt nur die Einführung der 
Unfall-Versicherung, weil in dem zum Teil noch auf Naturalwirtschaft 
beruhenden land- und forstwirtschaftlichen Betrieb vielfach für erkrankte 
Arbeiter unmittelbar vom Arbeitgeber gesorgt werde, und die Einführung 
von Krankenkassen daher unthunlich sei. Die freie ärztliche Behandlung und 
freie Arznei soll von der Gemeinde gewährt werden. Die definitive Unfall-
	        
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