Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Novbr. 28.) 149
oder beabsichtigt sei: 1) jede Missionsthätigkeit von Mitgliedern des Ordens
der Gesellschaft Jesu oder der mit demselben „verwandten“ Orden in den
deutschen Schutzgebieten als gesetzlich verboten zu behandeln oder auf dem
Verwaltungswege zu verbieten; 2) die Thätigkeit katholischer Missionen über-
haupt in jenen Schutzgebieten auszuschließen oder zu beschränken?“
Der Reichskanzler beantwortet die Interpellation, welche vom
Abg. Reichensperger begründet wird, folgendermaßen:
„Die Beantwortung der Interpellation würde eine sehr einfache sein,
wenn sich dieselbe auf den Text der Fragestellung beschränkte. Die Nr. 1
würde ich einfach mit Ja beantwortet haben und kann das, ohne bei den
verbündeten Regierungen, deren Entschließungen maßgebend sind, in dieser
Richtung weitere Anfragen zu stellen, da sich meines Erachtens diese Beant-
wortung aus der Lage unserer Gesetzgebung ganz von selbst ergibt.
Auf so spitze Deduktionen, wie die des Herrn Vorredners, daß die
Kolonien Ausland seien, und daß die Giltigkeit unserer Reichsgesetze sich auf
das Inland beschränke, kann ich mich nicht einlassen; die Herren, deren
Thätigkeit im Reiche die Gesetze, in Afrika die Verwaltungsordnungen ver-
hindern, die Jesuiten nämlich — die werden sich ein solches Räsonnement
sehr leicht aneignen; ein deutscher Minister kann das meines Erachtens nicht.
Wenn das Gesetz bei uns zu Recht besteht, so ist das doch der Fall,
weil die verbündeten Regierungen ihm zugestimmt, weil der Kaiser es pro-
klamiert hat, und die Regierungen haben demselben zugestimmt, weil sie das
Gesetz für zweckmäßig und für den deutschen nationalen Interessen ent-
sprechend halten. Anders ist ihre Zustimmung nicht denkbar. Wollen Sie
nun von der Reichsexekutive verlangen, daß sie ihrerseits, in denselben Per-
sönlichkeiten, die das Gesetz für zweckmäßig gehalten haben, den Grundsätzen
desselben im Auslande zuwiderhandle? So leicht nehmen wir es mit der
Beobachtung der Reichsgesetze nicht. Außerdem aber sind die Reichsgesetze
doch ganz zweifellos verbindlich für diejenigen Beamten des Reichs, die in-
nerhalb des Gebiets desselben wohnen und die Vorkommnisse, welche mit den
Reichsgesetzen im Widerspruch stehen, drüben in den Kolonien durch ihre
Unterschrift sanktionieren oder anordnen müßten. Es müßte also immer
innerhalb des Reichsgebiets im Widerspruch mit den Reichsgesetzen gehandelt
werden.“ —
„Der Herr Vorredner hat sehr richtig gesagt, daß es hier nicht der
Ort sei, über die Angemessenheit des Fotrtbestehens der Jesuitengesetzgebung
zu diskutieren; ich akzeptiere das auch sehr gern. Er hat aber doch nicht
unterlassen, erhebliche Momente zu Gunsten der Jesuiten anzuführen, so daß
ich meinerseits doch auch eines, das für mich als Politiker besonders maß-
gebend ist, dagegen anzuführen nicht unterlassen kann. Die Gefahr, die ge-
rade die Thätigkeit der Jesuiten für Deutschland, seine Einigkeit und seine
nationale Entwickelung hatte, liegt ja nicht in dem Katholizismus der Je-
suiten, sondern sie liegt in ihrer ganzen internationalen Organisation, in
ihrem Lossagen und Loslösen von allen nationalen Banden und in ihrer
Zerstörung und Zersetzung der nationalen Bande und der nationalen Reg-
ungen überall, wo sie denselben beikommen. (Widerspruch im Zentrum.)
Nun haben wir gerade in Deutschland an nationalem Empfinden und natio-
naler Lebendigkeit keinen erheblichen Überschuß; ich möchte sagen, wir sind
in der Richtung einigermaßen blutarm; es ist eine bedauerliche Leichtigkeit,
mit der der Deutsche überall, im Osten und im Westen, sich von seiner
Nationalität lossagt, und die Wirkung der nationalen Empfindungen auf
unsere Handlungen, auf unser Auftreten, auf unsere Versöhnlichkeit im in-
neren Parteiwesen ist leider Gottes eine außerordentlich geringe.“