Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

178 Die Gesterreichisch--Angerische Msnarchie. (März 10.) 
die deutschen Versammlungen ohne Grund verboten, deutsche verdiente Be- 
amte ohne weiteres in den Ruhestand versetzt und durch junge czechische Ele- 
mente ersetzt, welche durch Protegierung der „deutsch-österreichischen Wirt- 
schaftspartei" Verrat in das deutsche Lager zu tragen suchten. Selbst das 
Briefgeheimmis werde nicht bewahrt. Der Redner bespricht sodann den 
Warnsdorfer Hochverratsprozeß, der zur Folge gehabt habe: Allge- 
meine Mißstimmung, Zweifel an der Unparteilichkeit der österreichischen 
Rechtspflege und vor allem anderen Entrüstungsrufe jenseit der schwarz-gel- 
ben Pfähle, wo sich unser deutscher Bruderstamm befindet. Redner schließt: 
„Sie alle werden die Folgen des gegenwärtigen Régimes vor dem Gerichts- 
hof der Moral und der Weltgeschichte zu tragen haben. Wir werden uns 
jetzt mehr auf die Pflege unserer Nationalität verlegen. Mag die Hochflut 
der Ereignisse noch so stürmisch über Europa hereinbrechen, mag ein noch so 
starker Orkan über Mittel-Europa sich entladen, wir Deutsche können nie zu 
Grunde gehen. Die Weltgeschichte kann wohl über kleine vereinzelte Glieder 
der Völkerfamilie, nie und nimmermehr über einen Stamm zur Tagesord- 
nung übergehen, welcher einen grünen üppigen Zweig der großen deutschen 
Nation bildet, die sich im Zenithe ihrer Macht und ihrer Herrlichkeit be- 
findet. Dieses nationale Gefühl wird uns und unsere Streiter in dem 
Kampfe für unsere heilige Sache stählen.“ 
10. März. (Zolltarif-Novelle.) Dem österreichisch-unga- 
rischen Abgeordnetenhaus wird die durch die in Aussicht stehenden 
Zollerhöhungen in Deutschland und Frankreich veranlaßte Zolltarif- 
Novelle vorgelegt. 
Der erste Paragraph der Novelle enthält eine große Reihe Erhöh- 
ungen von Industrialzöllen, wobei nahezu zusschhietuuh auf jene Artikel 
Bedacht genommen ist, in denen eine namhafte Einfuhr aus Deutschland 
und Frankreich stattfindet und welche in dem Tarife vom Jahre 1882 gar 
nicht oder nicht genügend berücksichtigt wurden. Im großen und ganzen 
wird durch die Erhöhungen der Industrialzölle Frankreich noch schwerer ge- 
troffen als Deutschland. § 2 lautet: Die k. k. Regierung ist ermächtigt, im 
Verordnungswege die Zollsätze für Getreide, Hülsenfrüchte Mehl= und Mahl- 
produkte und Brot bis zu der Höhe abzuändern, in welcher dieselben im 
allgemeinen Zolltarife des deutschen Reiches zur Feststellung gelangen. 
In dem österreichischen Motivenberichte zur Zollnovelle wird 
darauf hingewiesen, der Handelsverkehr der österreichisch-ungarischen Monar- 
chie mit dem Auslande beruhe, dem Charakter dieser Monarchie als eines 
derzeit noch überwiegend der Agrikultur gewidmeten Gebietes entsprechend, 
zum wesentlichen Teile auf dem Austausche der Produkte der Land= und 
Forstwirtschaft und der damit zusammenhängenden Gewerbebetriebe gegen die 
Hilfsmittel und Produkte der Industrie und gegen Genußmittel. Gerade 
diese land= und forstwirtschaftlichen Produkte seien es aber, welche sämtlich 
durch die Vollgesege jener Staaten, welche die Hauptabsatzgebiete Osterreich- 
Ungarns für dieselben auf dem Kontinente waren, vom Exporte dahin mehr 
oder weniger ausgeschlossen werden würden. Der Wert der durch die Zoll- 
reformen in Fearreh und Deutschland bedrohten österreichisch-ungarischen 
Ausfuhr beziffere sich mit zirka 109 Millionen Gulden. Ein Teil dieser 
Zollerhöhungen, wie jene auf Werkholz und Sägeware, dann Mahl= und 
Steinwaren in Deutschland könne prohibitiv wirken, ein anderer Teil, wie 
der Malzzoll in Deutschland und der Schweiz, die Getreidezölle in Deutsch- 
land und Frankreich, der Rapszoll in Deutschland, die Viehzölle in Frank- 
reich, würde voraussichtlich den österreichisch-ungarischen Export teils faktisch
	        
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