184 Sie Gesterreichis- Ausarische Monarchie. (April 21.)
welche denselben veröffentlichen, werden polizeilich konfisziert; das
Gericht hebt jedoch die Beschlagnahme wieder auf.
Der Wahlaufruf lautet: „An die Wähler! Am Ende einer sechsjährigen
Wahlperiode legen wir unsere Mandate in die Hände unserer Wähler und
wollen dabei mit einigen Worten unserer Haltung in dieser bewegten Zeit
gedenken und einen Ausblick in die Zukunft thun.
Gleich beim Zusammentritte des neugewählten Abgeordnetenhauses war
die politische Lage eine neue geworden. Die Mehrheit des Hauses war an eine
Koalition von Polen, Czechen, Slovenen und Klerikalen übergegangen. Nicht
daß sich eine größere Zahl von Wählerschaften von der deutsch-liberalen
Partei abgewendet hätte, eigentliche Verluste hatten wir nur wenige zu ver-
zeichnen; aber was den Umschwung herbeigeführt hatte, waren die von der
Regierung in der Großgrundbesitz-Kurie einzelner Länder veranlaßten Wahl-
kompromisse und die ebenfalls unter Regierungseinfluß gegen die Deutschen
ausgefallenen Wahlen in einzelnen gemischtsprachigen Bezirken, insbesondere
in Krain. Der Eintritt der czechischen Abgeordneten in den Reichsrat, ein
im Interesse der Vollzähligkeit des Abgeordnetenhauses erfreuliches Ereignis,
das sich unter dem Drucke der czechischen Wähler von selbst vollzogen hätte,
gab der Regierung Anlaß, in der Thronrede die verschiedene Rechtsanschau-
ung dieser Gruppe von Abgeordneten ausdrücklich hervorzuheben und damit
den ursprünglich von czechischer Seite gegen die Rechtsbeständigkeit der Ver-
fassung gerichteten Ansprüchen auf ein sogenanntes böhmisches Staatsrecht
entgegenzukommen. Gleich bei Beratung der Adresse zeigte sich der tiefe
Gegensatz, der unsere Seite von der neuen Koalition trennte. Es war der
alte Gegensatz zwischen Staatseinheit und Föderalismus, der das
politische Leben Osterreichs seit dem Bestande der Verfassung erfüllt. Die
Formen aber, welche dieser Gegensatz nunmehr und im weiteren Verlaufe
der Dinge annahm, waren allerdings andere als die früheren. Vordem hatte
sich der Kampf hauptsächlich um staatsrechtliche Fragen bewegt, von czechischer
Seite waren die weitestgehenden Ansprüche auf eine Sonderstellung Böhmens,
womöglich auch Mährens und Schlesiens, als sogenannter Länder der böhmi-
schen Krone, erhoben worden. Die Maßlosigkeit dieser Ansprüche, wie sie
durch die Fundamental- Artikel des Jahres 1871 zum Ausdrucke kamen, hatte
damals zu einem raschen Zusammenbruche jenes förderalistischen Vorstoßes
geführt. Die neue Koalition, durch ihre früheren Fehler klüger geworden,
zugleich sich darüber klar, daß ihr für Verfassungs-Anderungen die not-
wendige Zweidrittel-Mehrheit im Abgeordnetenhause fehle, versuchte zunächst
andere Wege. Der Ruf nach Gleichberechtigung wurde erhoben, als ob
durch das neue Regime eine Erlösung der Slaven von deutschem Drucke ge-
kommen wäre, in der That aber sollte das deutsche Element überhaupt und
insbesondere in den gemischtsprachigen Ländern zurückgedrängt, die Verwaltung
slavisiert und so allmälig das Slaventum herrschend werden, woran sich
dann bald die föderalistische Gestaltung des Reiches von selbst schließen
würde. Während so Czechen, Polen und Slovenen ihren nationalen Stand-
punkt zur nachdrücklichsten Geltung brachten, waren sie dabei durch eine
Gruppe klerikaler Abgeordneten aus einigen Alpenländern unterstützt, welche,
mit Verleugnung des deutschen Nationalgefühles, willig die Bestrebungen zur
Slavisierung des Reiches unterstützten, wenn sie dabei nur hie und da
einige reaktionäre Sonderwünsche befriedigen durften. Rücksichtslos schritt
die geschlossene Rechte auf ihrer Bahn vorwärts, sie verschmähte kein Mittel,
um ihre ziffermäßig kleine Mehrheit zu verstärken oder zu mehren; gleich-
giltig gegen alle Rechtsbedenken kassierte sie die Wahl der liberalen oberöster-