Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

Bie Geserreichi#- Augarische Mesarcie. (April 23.) 191 
wußten, einen bedeutenden Schritt vorwärts zu thun zu dem festgehaltenen 
Ziele der perstellung des Gleichgewichts im Staatshaushalte. Der 
Staatskredit hat sich in erfreulicher Weise gehoben. Ernste Bürgschaften 
sind gewonnen für eine gedeihliche Erledigung der auf finanziellem Gebiete 
noch der Lösung harrenden Aufgaben. Geehrte Herren von beiden Häusern 
des Reichsrats! Sowie ich gern das geleistete dankend anerkenne, so können 
Sie mit dem Bewußtsein treu erfüllter Pflicht zurückblicken auf Ihre Arbeit 
und Mühen und auf deren Erfolge für das Gedeihen des Vaterlandes und 
die Wohlfahrt meiner Völker, denen allen ich mit gleicher Liebe meine lan- 
desväterliche Fürsorge zuwende. Unsere guten Beziehungen zu allen 
Mächten rechtfertigen die Erwartung, daß der Monarchie der Friede auch 
fernerhin und ungestört erhalten bleibe. Unter den Segnungen dieses Frie- 
dens wird meine Regierung mit Beharrlichkeit und pflichttreuer Hingebung 
für das Staatswohl auf den eingeschlagenen Bahnen fortfahren, ihre Auf- 
gaben zu erfüllen, damit das mit Ihnen Begonnene der Vbllendung zuge- 
führt, die weitere verfassungsmäßige Thätigkeit zu gedeihlicher Entwicklung 
gebracht und so das Ziel erreicht werde, welches meinen Absichten, Wünschen 
und Hoffnungen entspricht. Somit empfehle ich Sie alle dem Schutze des 
Allmächtigen, und indem ich Sie meiner unwandelbaren Huld versichere, er- 
kläre ich die Session des Reichsrats für geschlossen. 
23. April. (Ungarn: Retorsionszölle.) Der Minister- 
präsident Tisza beantwortet die Interpellation über die deutschen 
und französischen Zollerhöhungen. 
Die Interpellation gipfelt in der Frage, ob die Regierung einen be- 
stimmten Plan habe, um die durch die Zollerhöhungen der auswärtigen 
Staaten heraufbeschworenen Gefahren von der heimischen Produktion ab- 
uwenden. 
Der Minister führt aus, daß der unmittelbare Grund für die Ver- 
tagung der Verhandlung über die Zollnovelle in dem Umstande gelegen habe, 
bah das Mandat des österreichischen Abgeordnetenhauses abgelaufen und da- 
her keine Aussicht vorhanden war, daß die Novelle auch jenseits Gesetzeskraft 
erlange. Die deutsche und französische Zollpolitik nütze diesen Staaten weniger, 
als sie dem Nachbar schade: „Wenn es eine Gefahr gibt, so besteht dieselbe 
nach meiner Uberzeugung hauptsächlich für Getreide in der transozeanischen 
und russischen Konkurrenz. Sämtliche Staaten Mittel-Europas hätten ein 
Interesse daran, sich dagegen zu schützen. Dieß könnte jedoch mit Erfolg nur 
dann geschehen, wenn dafür eine Modalität gefunden werden könnte, durch 
welche die zwischen den einzelnen Staaten bestehenden kommerziellen und 
volkswirtschaftlichen Beziehungen nicht verwirrt würden; denn die von den 
mitteleuropäischen Staaten einzuhebenden Getreidezölle können eventuell den 
überwiegend Getreide produzierenden Nachbarstaaten Schaden zufügen, reichen 
jedoch nicht aus, um sich selbst angesichts der bezeichneten Konkurrenz zu 
schützen, während sie aber genügen, auf die volkswirtschaftlichen Verhältnisse 
dieser Staaten in anderer Richtung schädlich rückjuwirken. Wenn man aber 
dem Nachbar schadet, so wird auch dieser mit Zollerhöhungen vorgehen, 
welche wieder der Industrie des andern Staates schaden, ohne daß man sich 
selbst nützt. Ob man in nächster Zukunft eine solche wirtschaftliche Politik 
erhoffen dürfe, darüber kann ich mich, wie man begreift, derzeit nicht näher 
aussprechen. Die Schwierigkeiten sind sehr groß; sie sind teils politischer, 
vorwiegend aber wirtschaftlicher Natur. Es gibt unter den Staaten Mittel- 
Europas solche, welche namentlich jenseits des Ozeans einen lebhaften Handel 
unterhalten, sich deshalb vor Trübung dieser Beziehungen hüten und nur
	        
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