Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

Die Oeferreithisch· Angarische Menarthie. (April 26.) 193 
Notwendigkeit erkennen, alle Elemente, denen die altösterreichischen Traditionen 
als Leitstern ihres politischen Verhaltens dienen, zusammenzufassen, um nach 
Kräften zu verhindern, daß föderalistische Velleitäten und unbegründete, die 
staatlichen Interessen in den Hintergrund stellende nationale Bestrebungen 
einen verstärkten Einfluß auf unsere öffentlichen Angelegenheiten gewinnen. 
Wir machten der Mittelpartei den Vorschlag, daß: „zu dem Zwecke, um 
mittelst der bevorstehenden Reichsratswahlen jene gemäßigten Elemente im 
Abgeordnetenhause zu verstärken, welche es sich zur Aufgabe stellen, unter 
Festhaltung an der bestehenden staatsrechtlichen Gestaltung Osterreichs, Be- 
strebungen nach weiterer föderalistischer Ausbildung der Verwaltung und 
Verfassung sowie nationale Ansprüche, welche das Interesse des Gesamt- 
staates zu schädigen geeignet sind, entgegenzutreten“, die Repräsentanten beider 
Parteigruppen sich einigen sollen, „ihren Parteigenossen ein gemeinsames 
Vorgehen bei den bevorstehenden allgemeinen Reichsratswahlen aus dem 
mährischen Großgrundbesitze zu empfehlen und solche Kandidaten in Vor- 
schlag zu bringen, von denen sie überzeugt find, daß dieselben ihr Verhalten 
nach den oben bezeichneten Gesichtspunkten einrichten werden“. Beiderseits 
sollen „nur Kandidaten von der angedeuteten politischen Richtung und ver- 
bürgter gemäßigter gatum nominiert werden". 
Wir fanden seitens der Mittelpartei für unsere Annäherungsversuche 
ein freundliches Entgegenkommen, und wurde schließlich eine Einigung dahin 
erzielt, daß auf Grund des oben mitgeteilten „vereinbarten Programmes“ 
unsere Partei über vier, die Mittelpartei über fünf Mandate „zu Gunsten 
von Kandidaten verbürgter gemäßigter Haltung zu verfügen habe"“, und daß 
dieses Kompromiß „für beide Teile unter allen Verhältnissen bindend bleiben 
solle und insbesondere für die ganze bevorstehende Reichsratsperiode, daher 
auch für etwaige Nachwahlen innerhalb der Periode zu gelten habe“. 
26. April. (Mähren.) Das Landeswahlkomitee der deutsch- 
liberalen Partei in Mähren erläßt einen Wahlaufruf, in welchem 
es heißt: 
Die Lage der Deutschen in Österreich ist nicht danach angethan, daß 
sie sich nach nationalen oder politischen Graden, nach Fraktionen oder gar 
nach Konfessionen teilen und unter einander bekämpfen könnten. Jeder gute 
Deutsch-Nationale muß mit dem Zentralisten und jeder gute Zentralist mit 
dem Deutsch-Nationalen 8 in Hand gehen, Schulter an Schulter kämpfen 
egen den gemeinsamen Feind, ohne Bedingung und ohne Vorbehalt. So 
2 wir Deutsche in Mähren es immer gehalten und so wollen wir es 
auch künftig halten im Kampfe für unser Volkstum und für unsere Heimat. 
Und so betrachten wir als unsere nächste Aufgabe, als unser aktuelles 
Programm vor allem das einheitliche Zusammenwirken aller Deutschen zur 
Wiedergewinnung der berechtigten Stellung ihres Volksstammes und zur Er- 
haltung des Einheitsstaates. Erst wenn diese nächste und größte Aufgabe 
gelöst, wenn den Deutsch-Liberalen und ihren Bundesgenossen die Mehrheit 
im Abgeordnetenhause wiedergegeben ist, kann an die Sicherung der erstrittenen 
Position gegangen und die Verwirklichung unserer berechtigten nationalen 
Forderungen mit Erfolg angestrebt werden. 
Wenn die Fortdauer und Befestigung des von uns seit jeher ver- 
langten und freudig begrüßten Bündnisses mit dem deutschen Reiche will- 
kommene und ausreichende Garantien für den äußern Frieden und die innere 
Entwicklung bieten, werden wir die slavische Vorherrschaft in Osterreich er- 
folgreich abwehren und den Deutschen jenen vorwiegenden Einfluß wiederge- 
winnen und sichern können, welcher zur Erhaltung des Staates unentbehrlich
	        
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