198 Die Oeferreitish-Angarishe Menarhie. (Mai 21. -24.)
seitigen Ansprachen lassen auch keinen Zweifel, daß es sich um eine politische
Demonstration handelt. Der „Pester Lloyd“ bespricht das Ereignis folgen-
dermaßen:
„Lange Zeit ist Wien der Sitz einer Richtung gewesen, welche auf die
systematische Verkleinerung und Verbitterung Ungarns ausging; die deutschen
und die ungarischen Volkskreise, auf deren Harmonie die erleuchtetsten Männer
der Monarchie ihre Hoffnung gesetzt hatten, wurden vielfach von dort aus
einander entfremdet: mit einem einzigen Schritt hat die Wiener Gemeinde-
vertretung nunmehr diesem Zustande ein Ende gemacht, und sie hat bekundet,
daß jenes liebenswürdige und in seiner jovialen Art politisch einsichtige und
kluge Wiener Volk keinen Anteil haben will an solchen Verirrungen. Von
keiner berufeneren Stelle konnte diese Manifestation ausgehen und von keiner
Stelle aus würde sie uns wohlthuender berührt haben. Wenn Wien und
Budapest, die stolzesten Repräsentanten deutscher und ungarischer Gesinnung
und Gesittung, einig sind, wer darf da wagen, den Gegensatz zwischen
Deutschtum und Ungartum in der Monarchie zu propagieren! Wenn Wien
und Budapest einander verstehen, bilden sie aber auch eine Macht, an welcher
alle Rückfälligen der politischen Reaktion nicht zu rütteln vermögen.“
21. Mai. (Ungarn.) Der Reichstag wird geschlossen und
auf den 25. September zur zweiten Session einberufen.
Außer der Feststellung des Budget und der Reform der Magnaten-
tafel hat die Session folgende Ergebnisse gehabt: Von großer Bedeutung
für die innere Verwaltung sind die neugeschaffenen Gesetze über die Pensio-
nierung der Staatsbeamten, über die Regelung des Wasserrechts, über die
Aufhebung der Hauskommunionen in der Grenze. Es wurde die Einführung
der Postsparkassen beschlossen, die Regulierung der oberen Donau bei Gönyö-
Radvany und des Raabflusses ins Werk gesetzt, zwei Gesetze, die dem Lande
einen Kostenaufwand von mehr als 22 Millionen Gulden auferlegen. Es
wurden ferner zahlreiche Gesetze über den Bau von Vizinalbahnen votiert,
die Verstaatlichung der Alföldbahn realisiert und damit wieder ein wichtiger
Schritt auf dem vorläufig zu einem Ruhepunkt gediehenen Wege der Eisen-
bahn-Verstaatlichung unternommen.
24. Mai. (Böhmen.) Wahlaufruf der Czechen.
Der Wahlaufruf gibt zunächst eine Übersicht der Leistungen des ver-
flossenen Reichsrats: Erleichterungen für den ackerbautreibenden Teil der
Bevölkerung durch Ersparnis von mehr als zwei Millionen Grundsteuer,
Erwirkung des notwendigen Schutzes durch das Wuchergesetz, die Zollord-
nung, die Gewerbe-Novelle, das Kongrua-Gesetz, die Verstaatlichung der
Bahnen, die böhmische Transversalbahn, die Errichtung der czechischen Uni-
versität und vieler czechischen Fachschulen, die Erweiterung des Wahlrechts
auf die Fünfgulden-Männer. Hierauf werden die Aufgaben der czechischen
Vertreter im künftigen Reichsrate wie folgt formuliert:
„Die Erhaltung der österreichischen Monarchie in ihrer vollen Sou-
veränetät bildet für uns die unentbehrliche Vorbedingung unserer nationalen
Existenz; wir werden daher stets bereit sein, ihr alles zu gewähren, was ihre
Unabhängigkeit und Sicherheit, sowie auch ihr allseitiges Gedeihen fordert,
und werden jederzeit fest und treu stehen zu unserer allerhöchsten Herrscher-
familie, welche das mächtigste Band dieser Monarchie bildet. Die in der
historischen Tradition unseres Königreiches, im Oktober-Diplome und in der
Verfassung selbst begründete Autonomie, welche mit der Einheit und Macht-
stellung des Reiches wohl vereinbar ist, zu verteidigen, wird auch fernerhin
für uns eine ernste Pflicht sein; denn es ist dieß unsere Uberzeugung, daß