Vie Gesterreichisc-Augarische Monarchie. (Oktober 2.—10.) 219
2. Oktober. (Österreich.) Präsidentenwahl im Abgeordneten-
hause.
Zum Präsidenten wird Dr. Smolka, zu Vize-Präsidenten Graf Richard
Clam-Martinitz und Ritter v. Chlumecky gewählt. Die Opposition ist seit.
sechs Jahren zum ersten Male durch eines ihrer Mitglieder im Präsidium
vertreten.
3. Oktober. (Ungarn.) Abg.-Haus: Interpellation über
die Vorgänge in Bulgarien.
Der Ministerpräsident Tisza erklärt: Die Monarchenbegegnung in
Kremsier sei als Folge der Skierniewiczer Kaiserbegegnung ein bloßer Höf-
lichkeitsakt, eine Erneuerung der persönlichen Freundschaft beider Monarchen
gewesen; von einer Einverleibung Basniens oder von einer Vereinigung
Bulgariens und Rumeliens war in Kremsier keine Rede, daß eine auß die
Vereinigung abzielende Agitation bestand, war bekannt; der Ausbruch der
Verschwörung überraschte jedoch sämtliche Kabinette Europas. Die Regierung
habe keine Kenntnis, ob irgend eine Macht mit Waffengewalt einzuschreiten
beabsichtige; sie wisse jedoch, daß alle Mächte die Aufrechterhaltung des Ber-
liner Vertrages und des bestehenden Zustandes wünschen, niemand hindere
die Türkei an der Geltendmachung ihrer Rechte. Der Vorschlag einer Bot-
schafter-Konferenz stimme mit dem Wunsche des Sultans, betreffend eine
freundschaftliche Einmischung der Mächte, überein. Von einer Einverleibung
Bosniens und der Herzegowina sei keine Rede, noch weniger beabsichtige
Osterreich-Ungarn eine Verschärfung der Verwicklung durch etwaige Besetzung
türkischen Gebiets. Die Regierung müsse jedoch erklären, was auch begreif-
lich sei, falls jedes Bemühen scheitern sollte und die vitalen Interessen der
Monarchie gefährdet würden, werde Osterreich-Ungarn die Freiheit seiner
Entschließung wahren. Die Antwort wird zur Kenntnis genommen.
5. Oktober. (Kroatien.) Verhandlung über die überfüh-
rung des kroatischen Archivs nach Budapest.
Z„ Der Banus Graf Khuen-Hedervary rechtfertigt die Maßregel der
Überführung der Akten und führt aus, daß Kroatien sich nicht im „redlichen
Besitz“ der Akten befunden habe. Diese Worte versetzen die Opposition in
solche Erregung, daß einzelne Mitglieder den Banus gewaltsam am Verlassen
des Saales verhindern und sich thätlich an ihm vergreifen. Auf Antrag des
Präsidenten werden deßwegen in der Sitzung vom 6. Oktober die Abgeord-
neten Valusnigg, Pavlovic und Kumicic auf je 60, Starcevic, Grzanic und
Kamenar auf je 30 Sitzungen ausgeschlossen. Der Präsident beantragt ferner
die strafrechtliche Verfolgung der Abg. Starcevic und Grzanic, deren Ver-
haftung wegen Verdachts der Kollusion alsbald erfolgt (vgl. XI. 26. und
II. 18.).
10. Oktober. (Kroatien.) Gründung eines selbständigen
Zentrums-Klubs im Landtage.
Das Programm stellt als Hauptaufgabe hin, mit allen gesetzlichen
Mitteln dahin zu wirken, daß das Ausgleichsgesetz, mit welchem beiden
Königreichen auf Grund und im Rahmen der pragmatischen Sanktion und
der in derselben ausgesprochenen Unteilbarkeit der staatlichen Gemeinschaft
mit Ungarn auch ihre staatspolitische Individnalität und staatsrechtliche
Autonomie mit ihrer besonderen politischen Nationalität verbürgt wurden,
als ein zwischen beiden Königreichen und Völkern paritätisch geschlossener
und beiderseitig bindender staatsrechtlicher Vertrag nach seinem Wortlaute,
Europ. Geschichtskalender. XXVI. Bd. 15