Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

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Kalnoky gibt im Ausschuß der ungarischen Delegation folgende Er- 
klärungen über die auswärtige Politik ab: 
Der Minister versichert, daß in den Beziehungen zwischen Osterreich- 
Ungarn und dem Deutschen Reich, sowie in den Beziehungen dieser beiden 
Reiche zu Rußland keine Veränderung gegen das Vorjahr eingetreten sei; 
es wäre auch unerfindlich, woher eine Anderung der Beziehungen Osterreich- 
Ungarns zu Deutschland kommen und wodurch eine solche sich erklären könnte. 
Der Minister berief sich auf seine früheren Erklärungen, daß das Verhältnis 
zu Deutschland auf Grundlagen beruhe, welche durch Inzidenzfälle nicht zu 
erschüttern seien: „Wir wissen alle, wit welcher Sicherheit Deutschland auf 
unsere Verläßlichkeit und wir auf die seinige rechnen können.“ In betreff 
des Verhältnisses zu Rußland erklärte der Minister, daß zwischen Osterreich- 
Ungarn und Rußland neben den allgemeinen internationalen Verträgen keine 
besondern beständen und die guten Beziehungen seien noch ebenso unge- 
trübt, wie der Minister im vorigen Jahre ausführlich geschildert habe. — 
In betreff des Orients erklärte der Minister, von einer thatsächlich voll- 
zogenen Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien könne man nicht reden. 
Eine Anerkennung der vollzogenen Thatsache sei von keiner Seite erfolgt und 
sei auch nicht ins Auge gefaßt, deshalb habe auch keine Macht eine offi- 
zielle Außerung in diesem Sinne gethan. Da somit der ganze Zustand ein 
ungelöster sei, müßte auch jede Vorbedingung fehlen, um für andere Staaten 
einen Gebietsausgleich zu verlangen; in dieser Richtung sei daher kein offi- 
zieller Schritt geschehen. Die Beantwortung der Frage über die Konferenz, 
die Konferenzvorschläge und die Stellung der Mächte lehnte der Minister im 
Interesse des Staats ab. „An Serbien wurde thatsächlich keine Aufforde- 
rung in dem Sinne gerichtet, daß wir seine Interessen nicht schützen würden, 
wenn es vor dem Schluß der Konferenz einen Schritt zur Okkupation thue, 
da wir Serbiens Unabhängigkeit stets anerkannten und respektierten und dem 
König von Serbien das Recht zukommt, Krieg oder Frieden für sein Land 
zu machen. Wir stehen zu Serbien im Verhältnis eines Freundes und wohl- 
meinenden Nachbarn, der unter Umständen gute Ratschläge gibt. Solche er- 
teilten wir, aber auf die Freiheit der Entschließungen Serbiens beanspruchten 
wir keinen entscheidenden Einfluß.“ Die Ratschläge Osterreichs-Ungarns an 
Serbien hätten sich ganz in derselben Richtung bewegt, wie gegenüber Grie- 
chenland, an welches ebenfalls ernste Mahnungen zur Mäßigung und Vor- 
sicht unter Hinweis auf die Gefahren eines kriegerischen Vorgehens ergangen 
seien; wolle er, der Minister, auf die Frage, ob Osterreich-Ungarn die In- 
teressen Serbieus unter allen Umständen zu schützen gedenke, antworten, so 
hieße dies einen Freibrief für alle möglichen Unternehmungen geben und 
Osterreich-Ungarn geradezu in Abhängigkeit von der Politik Serbiens setzen. 
Auf die Frage des Delegierten Gall in betreff der deutschen Zoller- 
höhung, ob kein besseres Zollverhältnis mit Deutschland zu erhoffen sei, 
antwortete Graf Kalnoky: Es seien in dieser Beziehung offizielle Schritte 
bei der deutschen Regierung deshalb nicht gethan worden, weil ein Erfolg 
jetzt nicht zu erwarten war; da die deutsche Zollerhöhung im Reichstage nach 
vieljährigen vergeblichen Anstrengungen erst in diesem Jahre durchgesetzt 
worden sei, so hätte nicht vorausgesetzt werden können, daß die deutsche Re- 
gierung ein so mühvoll und mit so vielen Schwierigkeiten erreichtes Ergeb- 
nis sobald wieder fallen lassen werde, zumal dem Staatsschatz dadurch eine 
beträchtliche Einnahme gesichert sei. Dennoch habe in dieser Angelegenheit 
ein vertraulicher Meinungsaustausch stattgefunden, wobei sich herausgestellt 
habe, daß vorläufig noch so große Schwierigkeiten zu überwinden feien, daß 
von einem Eintreten in Verhandlungen kein Erfolg zu erwarten sei; somit er- 
 
	        
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