14 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 14.—15.)
14. Januar. (Sozialdemokratie.) Das dänische Blatt
„Sozialdemokraten“ veröffentlicht ein von den deutschen sozialdemo-
kratischen Reichstagsabgeordneten als „Parteivertretung“ unterzeich-
netes an „unsere Parteigenossen und Freunde im Auslande“ ge-
richtetes Dankschreiben für die Unterstützung bei den deutschen Reichs-
tagswahlen, in welchem es heißt:
„Als wir im Sommer vorigen Jahres eine Bitte an die Gesinnungs-
genossen im Auslande, namentlich in den Vereinigten Staaten von Nord-
Amerika richteten, uns in dem bevorstehenden Wahlkampfe zu unterstützen,
wußten wir zwar, daß wir nicht vergeblich bitten würden; daß Ihr aber
unseren Aufruf in dem Umfange, wie geschehen, beantworten würdet —
darauf waren wir nicht vorbereitet. Die Antwort hat unsere kühnsten Er-
wartungen übertroffen. In wahrhaft glänzender Weise hat das Solidaritäts-
gefühl, welches die Sozialdemokratie erfüllen und zusammenknüpfen muß,
wenn sie ihr Ziel erreichen will, seine Probe bestanden. Gesinnungsgenossen
und Freunde! Wir danken Euch! Ihr habt es verstanden: es gibt nur
eine Sozialdemokratie. Im Jahre 1884 war Deutschland die Wahlstatt der
gesamten Partei. Und durch Euren Beistand — indem die Sozialdemokratie
des Auslandes zu unserem Wahlsiege mitgeholfen hat — ist dieser zu einem
Siege für die ganze Partei, für die Sozialdemokratie aller Länder geworden.“
15. Januar. (Preußen.) Der Landtag wird vom Vize-
präsidenten des Staatsministeriums von Puttkamer mit folgender
Thronrede eröffnet:
„Erlauchte, edle und geehrte Herren von beiden Häusern des Land-
tags! Seine Majestät der Kaiser und König haben mich mit der Eröffnung
des Landtags der Monarchie zu beauftragen geruht. Die Finanzlage des
Staates ist an sich eine befriedigende. Das letzte abgeschlossene Rechnungs-
jahr hat bei fast allen wichtigeren Einnahmezweigen, namentlich auch wie-
derum bei der Verwaltung der Staatseisenbahnen, günstige Resultate und
insgesamt einen Überschuß von mehr als 20 Millionen Mark ergeben, wel-
cher gemäß den gesetzlichen Bestimmungen über die Verwendung der Jahres-
überschüsse der Eisenbahnverwaltung bis auf einen geringen verfügbar ge-
bliebenen Betrag zur Tilgung der Staatseisenbahn-Kapitalschuld zu verwenden
gewesen ist. Auch das laufende Jahr läßt nach den bisherigen Wahrneh-
mungen einen günstigen Abschluß hoffen und einen zu gleicher Verwendung
kommenden Verwaltungsüberschuß erwarten. Dementsprechend sind die Ein-
nahmen für das nächste Jahr erfreulicherweise wiederum in dem Maße höher
zu veranschlagen, daß sie zur vollen Deckung des in der bisherigen Weise
streng geprüften, aber nirgends unwirtschaftlich beschränkten Ausgabebedarfs
hinreichen würden, wenn dem letzteren nicht eine Erhöhung des Matrikular-
beitrages für das Reich um mehr als 24 Millionen Mark hinzuträte. Schon
seit längerer Zeit weist eine Reihe großer und anders als mit neuen Ein-
nahmen vom Reiche nicht zu befriedigender Bedürfnisse, namentlich die drin-
gend wünschenswerte Erleichterung des Druckes der Kommunal- und Schul-
lasten, wie die Verbesserung der Beamtenbesoldungen, auf die Notwendigkeit
der Eröffnung neuer Einnahmequellen des Reiches hin. Der in-
zwischen hervorgetretene eigene Mehrbedarf des Reiches gibt eine neue Mah-
nung hierzu, welche, so hofft die Staatsregierung, bald allseitig beachtet
werden und in naher Zeit wieder zu einer Ermäßigung unseres Matrikular-
beitrages auf die für das laufende Jahr festgestellte Summe führen wird.