Großbritannien. (April 9—12.) 255
nicht allein unseren dem Emir von Afghanistan gegenüber eingegangenen
Verpflichtungen, sondern auch uns selber als den Vertretern der brittischen
Krone schulden.
Der Minister teilt sodann im einzelnen die bis dahin eingegangenen
Nachrichten mit, aus welchen unzweifelhaft hervorgehe, daß die Äfghanen
von den Russen angegriffen und geschlagen seien. Ferner habe Lumsden (der
englische Grenzkommissar) berichtet, der Chef des russischen Generalstabes habe
in einer Unterredung mit dem englischen Kapitän Yate die Versicherung ab—
gegeben, daß das Hauptquartier von dem am 17. März getroffenen englisch-
russischen Abkommen keine Kenntnis besitze. Dies sei eine hochernste Erklä-
rung, und sie sei von der Regierung zum Gegenstand einer an die russische
Regierung gerichteten Depesche gemacht worden. Der russische Generalstabs-
chef habe sich auch geweigert, eine Versicherung abzugeben, daß die Afghanen
nicht ohne vorherige Anmeldung angegriffen werden sollten, und das Recht
beansprucht, die afghanischen Posten zurückzutreiben, wenn immer sie den
Russen unbequem werden dürften, ohne Bezugnahme auf irgend eine dritte
Partei. Dieß müsse natürlich im Zusammenhange mit der vorherigen Er-
klärung des Generalstabschefs erwogen werden, daß er von St. Petersburg
keine den russischen Versicherungen entsprechenden Weisungen erhalten. Das
Haus, fährt Gladstone fort, wird nicht überrascht sein, wenn ich, in ge-
messenen Worten und unter hochernsten Verhältnissen sprechend, gestützt auf
die von mir zitierten Mitteilungen, sage, daß dieser Angriff den Stempel
einer unprovozierten Aggression trägt. Wir haben von der russischen Regie-
rung Erklärungen verlangt, die wir stündlich erwarten, allein schon gestern
Abend erhielten wir von unserem Botschafter in St. Petersburg ein Tele-
gramm des Inhalts, der Minister für auswärtige Angelegenheiten habe seine
ernste Hoffnung und die des Kaisers ausgedrückt, daß dieser unglückliche
Zwischenfall die Fortdauer der Unterhandlungen nicht verhindern möge. Hr.
v. Giers habe gleichzeitig erklärt, daß die Russen nach dem Gefechte ach
ihren früher eingenommenen Stellungen zurückgekehrt seien und Pendsch-De
nicht besetzt hätten.
Am Schluß der Sitzung ergänzt Gladstone seine Mitteilungen auf
Grund neuer Telegramme Lumsdens dahin: In einem späteren Telegramm
erklärt Lumsden, daß, als die Russen durch den Massenvorstoß nach Ak-
Tepe die afghanische Stellung mit einem unverzüglichen Angriffe bedroh-
ten, die Afghanen Vedetten ausstellten, ihre Pikets bis Pul-i-Khisti am lin-
ken Ufer des Kuschk ausdehnten und dieselben allmälig derart verstärkten,
daß am 30. März das Gros ihrer Streitmacht den genannten Fluß über-
schritten hatte. Nach Lumsdens Ansicht bilde diese Bewegung im eigentlichen
Sinne des Wortes keinen Vorstoß, sondern sei nur als die Besetzung einer
vorteilhaften militärischen Stellung zu betrachten. "
Die englische Presse spricht sich allgemein dahin aus, daß der Krieg
unvermeidlich sei, wenn die russische Regierung nicht das Vorgehen Koma—
row's desavouiere und die Truppen in ihre bisherigen Stellungen zurückziehe.
An den europäischen Börsen veranlaßt das Ereignis eine außerordentliche
Panik: die englischen Konsols fallen um mehrere Prozent, die russischen
Werte nähern sich den Kursen des russisch-türkischen Krieges, die Suez-Aktien
fallen um 100 Frcs. Insbesondere wird auch Berlin in Mitleidenschaft ge-
zogen, weil es schon seit Wochen die bei sinkenden Kursen in London zum
Verkauf kommenden russischen Werte aufgenommen hatte und dadurch seinen
an sich schon sehr bedeutenden Bestand von russischen Papieren noch erheblich
vergrößert hatte.
12. April. (Agyptische Finanzen.) Der Khedive erläßt