Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

18  Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan 21. - 22.) 
hauptung des Abg. Frhrn. zu Franckenstein (Zentrum), daß die Kolonial- 
politik den vom Reichskanzler im Juni 1884 gezogenen Rahmen bereits 
überschritten habe, eine längere Debatte hervor; Abg. von Stauffenberg 
(deutsch-freis.) tritt der Behauptung entgegen, während der Abg. von Hell- 
dorf (konserv.) erklärt, daß der Reichskanzler bei seinen damaligen Aus- 
einandersetzungen sich eine gewisse diplomatische Reserve habe auferlegen 
müssen. Die Regierung nimmt an dieser Debatte nicht Teil. 
21. Januar. (Börsensteuer.) Reichstag: überweist den 
Wedell-Malchow'schen und den Öchelhäuser'schen Börsensteuer-Ent- 
wurf an eine Kommission von 21 Mitgliedern. 
Der Wedell'sche Antrag entspricht im wesentlichen dem Entwurf, 
welchen die Regierung im vorigen Jahr vorlegte (vgl. 21. Mai u. 19. Juni 
1884). Der Arnsperger-Öchelhäuser'sche Antrag unterscheidet sich von dem 
Wedell'schen hauptsächlich in drei Beziehungen: er schlägt statt der prozentualen 
gleichen Börsensteuer für Zeit- und Kassageschäfte von 2/10 vom Tausend 
einen Fixstempel vor, den er in sechs Stufen von 20 J. bis zu 3 M steigert, 
wobei der Stempel für Zeitgeschäfte verdoppelt wird; er besteuert nicht das 
Geschäft, sondern den Schlußschein und führt deshalb den Schlußscheinzwang 
ein; er beseitigt endlich alle lästigen Aufsichtsmaßregeln, insbesondere die 
Steuerbücher, und ordnet im wesentlichen zur Sicherung der Besteuerung nur 
die Strafen an, die bei der Wechselstempelsteuer vorgesehen sind. 
21. Januar. (Kolonial-Etat.) Dem Bundesrat geht ein 
Nachtrags-Etat für 1885/86 in Höhe von 248000 M für Errichtung 
von Gebäuden und Anstellung von Beamten in den Kolonien zu. 
In der beigefügten Denkschrift heißt es: Nachdem die deutschen Er- 
werbungen an der Westküste von Afrika unter den Schutz Sr. Majestät des 
Kaisers gestellt worden sind, ist das Bedürfnis hervorgetreten, die Mitwirkung 
des Reiches in Anspruch zu nehmen, um Ruhe und Ordnung unter der 
Bevölkerung jener Gebiete aufrecht zu erhalten und eine geregelte Rechts- 
pflege zu ermöglichen. In Betracht kommen zunächst die Besitzungen in 
Kamerun, im Togogebiet und in Angra Pequena, bezw. dem Gebiet zwischen 
dem Oranjefluß und Kap Frio. Für Kamerun ist entsprechend der Aus- 
dehnung und Wichtigkeit der dort unter deutsche Schutzherrschaft gestellten 
Gebiete die Einsetzung eines Gouverneurs in Aussicht genommen, welcher als 
kaiserlicher Oberkommissar und Generalkonsul für den ganzen Golf von 
Guinea zu fungieren haben würde. Demselben ist zur Ausübung der Gerichts- 
barkeit ein juristisch gebildeter Kanzler beizugeben. In Togo und Angra 
Pequena dürfte vorläufig die Anstellung eines Kommissars, der auch die 
richterlichen Geschäfte wahrzunehmen haben wird, ausreichend erscheinen. 
22. Januar. (Bismarck-Sammlung.) Die Zeitungen 
veröffentlichen den folgenden Aufruf zu Sammlungen für eine Ehren- 
gabe zum 70. Geburtstage des Reichskanzlers:  
„Im deutschen Volke ist allerorten der Wunsch lebendig, dem Reichs- 
kanzler Fürsten Bismarck zu seinem 70. Geburtstage eine Ehrengabe als 
Ausdruck des Dankes der Nation zu überreichen. Die Unterzeichneten haben 
sich vereinigt, um für dieses Bestreben einen Mittelpunkt zu bilden und ein 
Zusammenwirken der das gleiche Ziel verfolgenden Komitees zu ermöglichen. 
Wir halten letzteren den Zutritt offen und werden Mitglieder derselben gern 
in unsere Mitte aufnehmen. Unser Ruf zur Mitwirkung ergeht an alle 
Deutschen. Der Bestimmung der Ehrengabe entsprechend, werden auch die
	        
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