Frankreic. (März 30.) 291
30. März. (Sturz des Ministeriums.) Ferry fordert
von der Kammer einen Kredit von 200 Millionen für die Tonkin-
Expedition.
Ferry verliest bei Beginn der Sitzung, umgeben von allen Ministern
folgende Erklärung:
„Die Hoffnungen, zu denen noch die am Samstag eingelaufenen De-
peschen berechtigten, haben sich nicht verwirklicht. Eine gestern früh einge-
troffene Depesche teilte uns mit, daß General Négrier verwundet und Lang-
Son geräumt ist. Die heute Nacht angekommenen Depeschen find beruhi-
gender. Frankreich wird mit tiefer Bewegung erfahren, daß die Wunde des
heldenmütigen Führers, dessen glänzender Laufbahn es mit Stolz folgte, in
der Heilung begriffen ist. Unsere Armee befindet sich Streitkräften gegen-
über, deren Bedeutung unmöglich vorherzusehen war. (Bewegung.) Maß-
regeln sind schon gestern abend ergriffen worden; sie sind jedoch ungenügend.
Wir müssen die Niederlage von Lang-Son rächen, nicht bloß um unsere
Niederlassungen in Chinesisch-Indien zu sichern, sondern auch um unsere
vor der ganzen Welt bloßgestellte Ehre wieder herzustellen.“ Perin: Wer
hat diese Ehre bloßgestellt? (Beifall und Lärm.) Präsident Brisson ersucht
die Versammlung, dem Lande das Schauspiel einmütiger Würde zu geben.
Ferry schließt mit der Verlesung der Kreditforderung von 200 Millionen,
und erklärt, die Regierung werde dem Ausschusse die nötigen Aufklärungen.
geben. (Lärm.) Clémenceau: Wer wird Ihnen glauben? Hr. Ferry#: Um
in diese patriotische und nationale Frage keine untergeordnete Erwägung hin-
einzumischen, und um alle, die, auf welchen Bänken sie auch sitzen, die Ehre
der Fahne über alles stellen, zu einer gemeinsamen Anstrengung zu vereinen,
erklären wir Ihnen, daß wir die Annahme der Kredite nicht als ein Ver-
trauensvotum betrachten. (Neuer, anhaltender Lärm.) Die Kammer wird
durch eine spätere Abstimmung kundgeben, wem sie die Verwendung dieser
Geldmittel anvertrauen will. (Lärm; Rufe rechts: „Hinaus!“) Ferry
beantragt, die Vorlage an die Abteilungen zu verweisen und die Wahl des
Ausschusses in den Abteilungen sofort vorzunehmen. Clémenceau und Dela-
fosse eilen gleichzeitig auf die Tribüne. Ersterer erklärt: Zwischen einem
republikanischen Mitgliede des Hauses und Hrn. Ferry ist nichts mehr zu
verhandeln. „Wir kennen Sie nicht mehr; wir wollen Sie nicht kennen;
ich habe keine Minister mehr vor mir, sondern Angeklagte!“ (Beifall.) Ré-
villon: Lachen Sie nicht, Hr. Raynal! Duval: Der Premierminister hat
elacht! Er lacht noch! (Großer Tumult.) Clémenceau: Es sind hier des
Hochverrats Angeklagte. Wenn es noch eine Gerechtigkeit in Frankreich gibt,
so wird sie 7 anzulegen wissen. Nachdem dies gesagt ist, haben wir uns
mit den höheren Interessen des Vaterlandes zu buschäftigen. Dieselben ge-
bieten vor allem Kaltblütigkeit und Festigkeit. Redner bringt einen Inter-
pellationsantrag ein und schlägt folgende Tagesordnung vor: „Die Kammer
verurteilt das Ministerium und ist entschlossen, die Kredite zu bewilligen,
die erforderlich, um den in Ostasien engagierten französischen Soldaten Hile
zu bringen." Er fährt dann fort: Was aber dann? Zunächst keine Geld-
bewilligung sparen, um unsere heldenmütigen Soldaten zu retten, dann den
Entschluß fassen, klar zu sehen in unseren Angelegenheiten und nur Männer
vor uns zu dulden, die uns die Wahrheit sagen. (Beifall.) Diesem Mini-
sterium aber oder in Abwesenheit eines Ministeriums einen Kredit von
200 Millionen zu bewilligen, ist unmöglich. Der Kriegsminister bemerkt,
er habe bereits Maßregeln zur Absendung von Verstärkungen ergriffen.
Ribot beantragt, das Kabinet zu tadeln, weil es der Kammer nicht die
Wahrheit gesagt. Ferry verlangt, daß zuerst die Kredite bewilligt werden;