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der offiziellen Bestätigung der Thatsache, herrscht die Meinung vor, daß die
chinesische Regierung ihre Zustimmung zu dem Friedensschlusse ohne Kennt-
der Vorgänge in Tonkin gegeben habe und dieselbe alsbald in Anbetracht
der veränderten militärischen Lage zurückziehen werde. Daher wird durch
die Unterzeichnung der Friedenspräliminarien die Absendung von Verstär-
kungen nach Tonkin nicht unterbrochen; zunächst gehen 10000 Mann ab.
General Courcy erhält das Oberkommando in Tonkin; Bridre de l'Isle
behält jedoch sein Divisionskommando. General Négrier kehrt nach Frank-
reich zurück.
Das Abkommen wird französischerseits, weil ein verantwortlicher Mi-
nister des Auswärtigen nicht vorhanden, durch den Ministerialdirektor Billot
unterzeichnet, da der chinesische Unterhändler Robert Hart am 3. April von
Peking telegraphiert, daß ein weiterer Aufschub der Unterzeichnung das Zu-
standekommen des ganzen Arrangements in Frage stellen würde.
Die Verwirrung, welche in den Tagen der Ministerkrifis im Mini-
sterium des Auswärtigen herrschte, wird treffend durch folgende Schilderung,
deren Zeitangaben durch das später veröffentlichte Gelbbuch bestätigt find,
charakterisiert: „Gleich nach dem Eintreffen der Meldung von der Räu-
mung Lang-Sons am 29. März wurde an den Admiral Courbet tele-
graphisch der Befehl zur Evakuierung von Formosa abgeschickt, und derselbe
Befehl wurde am 3. April bestätigt. Ungeachtet also die Regierung doch
annehmen mußte, daß Admiral Courbet diesen Befehl bereits vollzogen, unter-
zeichnete Herr Billot am 4. April, also einen Tag später, den Präliminar=
Vertrag mit Herrn Campbell, worin eine Klausel enthalten ist, daß die
Franzosen Formosa erst räumen müssen, bis der definitive Friedensvertrag
geschlossen sei. Herr v. Freycinet ist von dieser Räumungs-Ordre gar nicht
unterrichtet worden. Erst am 7. April, nachdem er die Korrespondenz durch-
gelesen, fand er dieselbe vor und schickte daher eiligst die Kontre-Ordre an
den Admiral. Zum Glück hatte dieser die Räumung noch nicht begonnen,
sondern nur die Vorbereitungen dazu getroffen.“
6. April. (Ministerium Brisson.) Der Kammerpräsident
Brisson bildet das neue Ministerium in folgender Zusammensetzung:
Brisson Präsidium und Justiz, Freycinet Auswärtiges, Allain-Targé
Inneres, Clamageran Finanzen, General Campenon Krieg, Sadi Carnot
Arbeiten, Pierre Legrand Ackerbau, Hervée-Mangon Handel, Goblet Unter-
richt, Sarrien Posten und Telegraphen, Admiral Galiber Marine.
Die Bildung des Ministeriums macht außerordentliche Schwierigkeiten.
Freycinet und Constans, welche der Präsident nach einander mit dieser Auf-
gabe betraut, scheitern an dem Widerstande der Gambettisten, welche auf
eine Rehabilitierung des gestürzten Ministeriums hinarbeiten. Brisson lehnt
das ihm gleich nach dem Sturze Ferry's angebotene Mandat zunächst ab,
läßt sich jedoch schließlich bereit finden, da alle andern Kombinationen zu
keinem Resultate führen.
Der Abg. Jules Roche entwirft im „Lyon Républicain" die Geschichte
der französischen Verwaltung seit 1870 und gelangt dabei zu folgenden Zif-
fern: es wurden in dieser Zeit 20 Ministerien gebildet, 15 Minister je des
Kriegs und der Marine, 14 Minister des Außern, 27 Minister des Innern
verbraucht. Seit 1871 hatte Frankreich 7 Botschafter in Italien beglaubigt,
Italien hatte seit 1861 deren nur vier in Frankreich; das gleiche Verhält-
nis stellt sich auch bei Osterreich heraus; nach Rußland sind 6 Botschafter
eschick worden, indeß der Zar nur den Fürsten Orloff und dessen Nach-
solger beglaubigt hatte; England läßt sich seit 1867 in Paris durch Lord
Lyons vertreten und hat seit 1871 vierzehn französische Botschafter erlebt;