298 Frankreich. (Mai 12.—20.)
fahrung als wünschenswert herausstellen, und diese Anderungen würden dann
in einen neuen Vertrag zusammengefaßt werden.
Nach dem Vertrage übt Frankreich die Schutzherrschaft über Anam
aus, vertritt es in allen auswärtigen Beziehungen. Diese Funktionen werden
durch den französischen Residenten in Hue ausgeübt, welcher mit militärischer
W in der Citadelle residiert und jederzeit freien Zutritt zum Könige
aben soll.
12. Mai. (Rezidivisten-Gesetz.) Kammer: nimmt mit
383 gegen 52 Stimmen das Gesetz über die Deportation der rück-
fälligen Verbrecher an.
Das Gesetz verhängt über folgende vier Klassen von Verurteilten die
lebenslängliche Verbannung: 1) solche, die innerhalb 10 Jahren zweimal zu
Zuchthaus, oder 2) einmal zu Zuchthaus und das zweite Mal entweder
wegen Verbrechen zu mehr als zweijährigem Gefängnis, oder wegen Dieb-
stahls, Betrugs, Unterschlagung, öffentlicher Verletzung der Schamhaftigkeit,
gewohnheitsmäßiger Verleitung zu Unzucht, oder wegen Landstreicherei oder
Bettelns zu mehr als dreimonatlichem Gefängnis, oder 3) viermal wegen
Verbrechen oder Vergehen der aufgeführten Art zu mehr als dreimonatlichem
Gefängnis, oder endlich 4) siebenmal überhaupt zu Gefängnis, wovon zwei-
mal wegen Vergehen der erwähnten Art und noch zweimal zu mehr als
drei Monaten verurteilt worden sind. Ein Dekret soll bestimmen, wohin
die Rückfälligen (unter welchen die vierte Klasse bei weitem die zahlreichste
ist) verbannt, und welche Anordnungen zu ihrer Uberwachung und Beschäf-
tigung getroffen werden sollen.
Der Minister des Innern, Allain Targé, welcher als Deputierter
zweimal gegen das Gesetz gestimmt hat, verteidigt die Vorlage. Er gibt zu,
daß das Gesetz sehr mangelhaft sei, und verspricht im Verordnungswege die
Härten der Vorlage zu eliminieren. Er besteht mit Nachdruck auf der An-
nahme des Gesetzes, damit die Regierung in die Lage versetzt werde, die
großen Zentren von den katilinarischen Existenzen zu säubern.
12. Mai. In Groß-Popo wird das französische Protektorat
erklärt und die französische Flagge gehißt. (Vgl,. Deutsches Reich
24. Dezember.)
16. Mai. (Amnestie.) Kammer: lehnt den von Hugues
eingebrachten, vom Minister des Innern, Allain Targé, bekämpften
Antrag auf Amnestierung aller politischen Verbrecher mit 270 gegen
122 Stimmen ab.
19. Mai. (Kolonialarmee.) Kammer: beschließt mit 441
gegen 39 Stimmen in die Spezialdebatte der Vorlage betr. die Bil-
dung einer Kolonialarmee einzutreten.
20. Mai. (Ministeranklage.) Der Initiativ-Ausschuß
lehnt mit 11 gegen 9 Stimmen den von Laisant und Delafosse
(Bonapartist) gestellten Antrag, das Ministerium Ferry in den An-
klagestand zu versetzen, ab.
Der Abg. Laisant führt zur Begründung seines Antrages aus, daß das
Ministerium 1) die Verfassung verletzt habe, nach welcher kein Krieg ohne aus-
drückliche Befragung der Kammern unternommen werden dürfe; die Verfassung