Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

frankreicz. (Mai 22.—24.) 299 
spreche allerdings dabei vom „Krieg erklären“, allein Krieg führen, ohne 
solchen erklärt zu haben, solle offenbar nach dem Sinne der Verfassung erst 
recht untersagt sein, sonst würde ja der betr. Artikel gar keinen Sinn haben. 
2) Habe Ferry seine Pflicht verletzt, indem er den Kammern und dem Lande 
wichtige Depeschen aus Ostasien nur verspätet mitgeteilt habe. 3) Sei zu 
untersuchen, ob diese Zurückhaltung der Nachrichten nicht auf persönlichen 
und sogar finanziellen Beweggründen beruhte. 4) Habe sich Ferry in die 
unmittelbare Leitung der militärischen Operationen eingemischt und dadurch 
den Erfolg der Unternehmung beeinträchtigt. Schließlich erklärt Laisant, er 
erwarte nicht, daß die gegenwärtige Kammer die Anklage gegen Ferry und 
seine Mitschuldigen erheben werde; sein Antrag bezwecke nur, die Verjährung 
zu unterbrechen und die nächste Kammer in den Stand zu setzen, die wahren 
Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. 
Der Ausschuß nimmt Einsicht von den vertraulichen Protokollen der 
früheren Tonkin-Kommission. Aus denselben soll sich ergeben, daß die Be- 
sehlshaber in Tonkin den Vormarsch auf Lang-Son beharrlich als ein ge- 
ahrvolles und aussichtsloses Unternehmen hingestellt haben. 
22. Mai. Viktor Hugo f. 
Der Senat hebt zum Zeichen der Trauer seine Sitzungen auf; die 
Kammer tagt nicht. Auf Antrag der Regierung bewilligen am 23. Mai 
beide Häuser (die Kammer mit 415 gegen 3 Stimmen) den für die Bei- 
setzung Viktor Hugo's auf Staatskosten geforderten Kredit von 20 000 Frcs. 
Durch Dekrete vom 27. Mai verfügt der Präsident, daß das Pantheon, 
welches seit 1851 als Kirche dient, seiner ursprünglichen Bestimmung (für 
berühmte Männer als Begräbnisplatz zu dienen) wiedergegeben und daß die 
Leiche Viktor Hugo's in demselben beigesetzt werde. 
23. Mai. (Listenskrutinium.) Senat: nimmt das Listen- 
wahlgesetz (vgl. 24. März) mit der Abänderung an, daß in der bei 
den Wahlen zu Grunde zu legenden Bevölkerungsziffer die Auslän- 
der nicht mitgezählt werden und daß die Mitglieder der früheren 
Herrscherhäuser nicht wählbar find. 
Die Bestimmung über die Nichteinrechnung der Fremden wird trotz 
des lebhaften Widerspruchs des Ministerpräsidenten Brisson mit 129 gegen 
121 Stimmen angenommen. Ter Beschluß des Senats bezweckt einmal die 
von der Kammer geplante Erhöhung der Abgeordnetenzahl von 557 auf 596 
um einiges herabzumindern und insbesondere die Zahl der Vertreter der 
oßen Städte, wo sich naturgemäß die Fremden hauptsächlich befinden, zu 
eschränken. Nach dem Senatsbeschluß würde die Kammer nur etwa 580 
Deputierte zählen. 
24. Mai. (Kommunarden-Kundgebungen.) Auf dem 
Pere Lachaise kommt es zu blutigen Zusammenstößen zwischen der 
Polizei und den Kommunarden, welche auf dem Kirchhof eine Kund- 
gebung für die dort im Mai 1871 Erschossenen veranstalten. 
Es werden 55 Kommunarden, 19 Polizisten und 15 Soldaten ver- 
wundet. Veranlaßt wird der Zusammenstoß durch die Entfaltung von roten 
Fahnen seitens der Kommunarden. 
Wegen des bevorstehenden Begräbnisses Viktor Hugo's erregt der Vor- 
fall lebhafte Besorgnisse in der Pariser Bevölkerung. " # 
Bei dem am 25. Mai stattfindenden Leichenbegängnis des Sozialisten 
Europ Geschichtskalender. XXVI. B. 20
	        
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