306 Fra#nkreich. (Juli 27.—30.)
Kraft treten sollte, ab; zweitens verwirft er die Bestimmung, nach der die-
jenigen Familien, welche mit sieben Kindern gesegnet und unbemittelt sind,
eines derselben auf Staatskosten erziehen lassen können, und drittens modifi-
ziert er das Amendement Brialou, welches auch diejenigen Wohnungen, die nicht
vermietet sind, mit der Mobiliarsteuer (10 Prozent) belastet, in dem Sinne, daß
diese Wohnungen während eines Jahres steuerfrei bleiben sollen.
27. Juli. (China.) Wiederaufnahme der diplomatischen
Beziehungen. Der neue chinesische Gesandte Tsu-Tsching-Tschang
überreicht sein Beglaubigungsschreiben.
27.—30. Juli. (Madagaskar.) Kammer: bewilligt einen
Kredit von 12 Millionen für Madagaskar mit 291 gegen 142
Stimmen.
In der Debatte erklärt Freycinet, der Kredit solle nicht zur Eroberung
Madagaskar's dienen — über diese Frage werde die zukünftige Kammer zu ent-
scheiden haben, da die Jahreszeit militärische Operationen nicht zulasse — son-
dern nur zur Aufrechterhaltung der eingenommenen Stellungen. Die Bewillig-
ung des Kredits schließe eine Fortsetzung der Unterhandlungen nicht aus, gebe
aber den französischen Forderungen mehr Nachdruck. „Man wendet ein, die
Howas hätten schon Anerbieten zur friedlichen Beilegung des Zwistes ge-
macht; allein diese waren so geringfügig, daß von ihrer Annahme nicht ernst-
lich die Rede sein kann. Was wir vor allem verlangten, die Wiederher-
stellung des Vertrages von 1868, betreffend das Eigentumsrecht der Franzosen
auf der Insel, ist uns nicht gewährt, wenn auch nicht rundweg abgeschlagen
worden. „Wir verbieten“", sagte man, „den Franzosen nicht, zu kaufen, aber
wir verbieten den Howas, ihnen zu verkaufen.“ Wir stehen also einem Volke
gegenüber, welches, durch seine topographische Lage, vielleicht auch durch unser
Zaudern und durch Einflüsse ermutigt, bei denen ich mich nicht länger auf-
halten will, die geringschätzigste und beleidigendste Sprache gegen uns, gegen
die französische Republik führt. Wenn wir ihr würdig begegnen wollen, so
müssen wir uns zu neuen Opfern entschließen. Wie schwerzlich sie aber auch
fallen mögen, so scheint es mir unzulässig, daß eine große Nation der Welt
das Schauspiel der Unbeständigkeit in ihren Entschlüssen gebe. Die Politik,
die ich hier verteidige, ist nicht die eines einzelnen Kabinets, sondern die von
vier oder fünf Ministerien, welche ihre Pflicht erkannt und in der auswärti-
gen Politik das Erbe ihrer Vorgänger übernommen haben. Die Würde, die
Ehre des Landes erheischen, daß wir in der bisherigen Stellung zu Mada-
gaskar verharren und uns in Stand setzen, die Unterwerfung der Howas, die
nicht ausbleiben kann, wenn sie uns entschlossen und gerüstet sehen, abzuwarten.“
Ferry verteidigt seine Kolonialpolitik durch Hervorhebung der wirt-
schaftlichen Gesichtspunkte. Der durch die zollpolitische Absperrung der andern
Länder geschädigte französische Exporthandel könne nur durch die Erschließung
kolonialer Absatzgebiete gefördert werden. Ferry wird in seinen Ausführungen
fortgesetzt von der äußersten Linken unterbrochen. Clemenceau erwiedert ihm
in äußerst heftiger Rede, in welcher er sich gegen jede Kolonialpolitik aus-
spricht. Die ansehnliche Mehrheit der Regierung wird daher von den Op-
portunisten hauptsächlich als eine Niederlage Elemenceau's gefeiert.
In Italien erregen die Außerungen Ferry's über die Veranlassung
der Okkupation von Tunis besondere Beachtung und werden von der Presse
als Agitationsmittel gegen die afrikanische Politik Frankreichs ausgebeutet.
Ferry sagt in dieser Beziehung: „Der Berliner Kongreß ging seinem Schlusse
entgegen; man war im Begriffe, die Schlußprotokolle zu unterzeichnen, als