26 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 30.)
Der Entwurf ordnet auch das Lehrlingswesen. Die Lehrzeit muß
mindestens zwei Jahre dauern, sie darf aber die Zeit von drei Jahren
nicht überschreiten.
Die Überwachung und Ausführung der vorgeschlagenen Bestimmungen,
sowie die Anordnung und Oberleitung von Maßregeln und Untersuchungen,
welche das Wohl der in Betrieben irgend welcher Art beschäftigten Hilfs-
personen einschließlich der Lehrlinge erfordern, steht dem Reichsarbeitsamt
zu. Dasselbe hat seinen Sitz in Berlin. Die Organisation des Reichsarbeits-
amtes bestimmt der Bundesrat.
Dem Reichsarbeitsamt unterstehen die Arbeitsämter, die durch
Reichsgesetz für das Gebiet des Deutschen Reichs in Bezirken von nicht unter
200000 und nicht über 400000 Einwohnern spätestens bis zum 1. Juli
1886 einzurichten sind.
Die Beamten des Reichsarbeitsamts und die Arbeitsräte oder deren
Hilfsbeamte haben das Recht, jederzeit Besichtigungen der Betriebsstätten,
gleichviel, ob die Unternehmungen vom Staat, von Gemeinden oder Privat-
unternehmern betrieben werden, vorzunehmen und die ihnen für Leben und
Gesundheit der Beschäftigten notwendig scheinenden Anordnungen zu treffen.
Denselben stehen bei Ausübung dieser Aufsicht alle amtlichen Befugnisse der
Ortspolizeibehörden zu.
Das Arbeitsamt organisiert innerhalb seines Bezirks den unentgelt-
lichen Arbeitsnachweis und bildet für diesen eine Zentralstelle.
Für die Vertretung der Interessen der Unternehmer und ihrer Hilfs-
personen, sowie zur Unterstützung der Aufgaben ihrer Arbeitsämter tritt vom
1. Juli 1886 ab in jedem Arbeitsamtsbezirk eine Arbeitskammer in Thätig-
keit. Die Mitglieder der Arbeitskammer sind zur Hälfte durch die groß-
jährigen Unternehmer aus ihrer Mitte, zur anderen Hälfte durch die groß-
jährigen Hilfspersonen aus deren Mitte auf Grund des gleichen, unmittel-
baren und geheimen Stimmrechts mit einfacher Mehrheit zu wählen.
Die Arbeitskammern haben in allen das wirtschaftliche Leben ihres
Bezirkes berührenden Fragen mit Rat und That die Arbeitsämter zu unter-
stützen. Insbesondere stehen ihnen Untersuchungen zu über die Wirkung von
Handels- und Schiffahrts-Verträgen, Zöllen, Steuern, Abgaben, über die
Lohnhöhe, Lebensmittel- und Mietpreise, Konkurrenzverhältnisse, Fortbildungs-
schulen und gewerbliche Anstalten, Modell- und Mustersammlungen, Woh-
nungszustände, Gesundheits- und Sterblichkeitsverhältnisse der arbeitenden
Bevölkerung. Sie haben ferner Beschwerden über Mißstände im gewerb-
lichen Leben zur Kenntnis der bezüglichen Behörden zu bringen, Gutachten
über Maßregeln und Gesetzentwürfe abzugeben, welche das wirtschaftliche
Leben ihres Bezirkes berühren. Endlich sind sie Berufungsinstanz für die
Urteile der Schiedsgerichte.
Ferner haben die Arbeitskammern die Minimalhöhe der Löhne
aller Hilfsarbeiter festzusetzen. Beschwerden über die festgesetzten Minimal-
löhne erledigt der Arbeitskammertag.
Behufs Schlichtung und erstinstanzlicher Entscheidung von Streitig-
keiten zwischen Unternehmern und ihrem Hilfspersonal bildet die Kammer
aus ihrer Mitte Schiedsgerichte, welche aus je zwei Unternehmern und zwei
Hilfspersonen bestehen.
Gegen die Urteile der Schiedsgerichte steht den Parteien binnen einer
Woche nach erfolgter Entscheidung die Berufung an die Arbeitskammer zu.
Die Mitglieder der Arbeitskammern und der Schiedsgerichte erhalten
Tagegelder und Entschädigung der Reisekosten.
Das Reichsarbeitsamt ist verpflichtet, alljährlich einmal Vertreter sämt-
licher Arbeitskammern zu einer allgemeinen Beratung über die wirtschaftlichen