Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

382 Serbien. (Oltober 4.) 
Verpflichtungen, welche der Berliner Vertrag Serbien auferlegte, waren zahl- 
reich, und sie lasten schwer auf uns. Wir haben dieselben übernommen und 
soweit sie sich auf Serbien bezogen, getreulich erfüllt. Wir hofften, daß der 
reale Ausdruck des Willens aller Berliner Signatarmächte in gleich voll- 
kommener Weise sämtliche Balkan-Nationen bindet, und glaubten uns gegen 
jeden einseitigen und unerwarteten Wechsel der Situation gescuch. Unter 
den gegenwärtigen, ebenso ungewöhnlichen als schwierigen Verhältnissen wollte 
ich weder, noch konnte ich etwas anderes thun, als ausschließlich alles das- 
jenige, was die Sicherung der Interessen des Königreiches, deren Hüter ich 
bin, erfordert, und was durch die erhabene Aufgabe der serbischen Staatsidee, 
deren Träger ich bin und der ich mit Stolz und Hingebung diene, bedingt 
ist. So zu handeln war meine Pflicht als Serbe und als serbischer König. 
Diese Pflicht, davon mögen Sie, und durch Sie, geehrte Abgeordnete, möge 
auch die ganze Nation davon überzeugt sein, hat Serbien stets vor Augen 
gehabt, und es wird ihr immer treu bleiben, mit jener Vorsicht sowohl und 
Achtsamkeit, welche die bisherigen Errungenschaften erfordern, als auch mit 
jener Entschlossenheit, die durch die richtig erfaßten Interessen unseres Landes 
vorgeschrieben ist. Angesichts dieser ernsten Momente hatte ich den Wunsch 
und das lebhafte Bedürfnis, mit den Vertretern des mir teuren und treuen 
serbischen Volkes zusammenzutreffen und Sie als die Repräsentanten jenes 
Volkes zu sehen, welches stets die Wichtigkeit des Momentes erkannt und sich 
immer und jederzeit bereit erwiesen hat, die Interessen und die Bedeutung 
des Vaterlandes zu schützen. Ich habe es als meine Pflicht erachtet, Sie 
um mich zu versammeln, Ihnen und durch Sie dem ganzen serbischen Volke 
deutlich vor Augen zu führen, daß wir auf unserer Hut sein müssen. 
Geehrte Abgeordnete! Serbien hat bisher genügend bewiesen, wie 
sehr es ruhige Arbeit wünscht. Es kann sich auch heute der Anerkennung 
der Thatsache nicht verschließen, daß ihm für den Fortschritt seiner Interessen 
und die Entwicklung seiner Kultur dauernder Friede not thut. Gerade aber 
weil Serbien von der Notwendigkeit des Friedens überzeugt und geleitet ist, 
und weil es andererseits seine vitalsten Interessen in Zukunft bedroht sieht, 
haben ich und meine Regierung allem, was wir thaten, die Richtung ge- 
geben, den Status quo ante auf der Balkan-Halbinsel zu erhalten oder es 
zu ermöglichen, daß jenes notwendige Gleichgewicht hergestellt werde, durch 
welches die Interessen der verschiedenen Balkanvölker gefichert erscheinen, da- 
mit sie 7ö einem Systeme geregelt werden und nicht einander feindselig 
zuwiderlaufen. 
Meine Regierung, geleitet von der Rücksicht auf die notwendigen Be- 
dürfnisse des Vaterlandes, wird Ihnen Gesetzvorschläge unterbreiten, durch 
welche denselben Rechnung getragen wird. Ich, der König von Serbien, 
überzeugt vom Patriotismus des serbischen Volkes, erwarte mit Recht und 
Zuversicht von Ihnen, daß Sie der Regierung bereitwillig die Mittel ge- 
währen werden, durch welche sie in den Stand gesetzt werden soll, den 
schweren ihr auferlegten Verpflichtungen erfolgreich nachzukommen. Wenn 
in dem gegenwärtigen trüben Zeitabschnitte jeder von uns seiner Pflicht be- 
wußt und entschloßen nachzukommen sich bestrebt, dann können wir den Er- 
eignissen mit dem festen Glauben an unsern Erfolg entgegenblicken und 
werden mit vereinten Kräften und mit der Hilfe Gottes die Interessen un- 
4 Landes in der Gegenwart erhalten und ihnen Geltung für die Zukunft 
ichern. Möge Ihre Arbeit, die Arbeit, welche im gegenwärtigen ernsten 
Momente das Vaterland von Ihnen fordert, eine glückliche sein! 
4. Oktober. Die Skupschtina nimmt eine Adresse an den 
König an, in welcher es heißt: 
 
	        
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