Griechenland. (Oktober 10.— 23.) 385
10. Oktober. Einberufung von 3 Jahrgängen der Reserve.
10. Oktober. Die Regierung beantwortet die mündlichen
Mahnungen der Vertreter der Großmächte zur Vorsicht und Mäßig-
ung dahin:
Der Berliner Vertrag sei geschlossen, um ein Gleichgewicht zwischen
den Balkanstaaten herzustellen. Griechenland habe die ihm im 13. Protokoll
des Berliner Kongresses in Aussicht gestellten Grenzen nicht erhalten, habe
sich aber aus Rücksicht auf den Willen der Großmächte mit den ihm im
Jahre 1881 angewiesenen Grenzen begnügt. Dieser Stand der Dinge sei
durch die Ereignisse in Bulgarien verändert. Die Vereinigung beider Bul-
garien würde das Gleichgewicht der Balkanstaaten völlig zerstören und die
türkischen und griechischen Elemente, welche in Ostrumelien ansässig seien,
vernichten. Griechenland sei daher gezwungen, seine Interessen wahrzuneh-
men. (St. A. 46, 8867.)
23. Oktober. Der König eröffnet die Kammer mit folgender
Thronrede:
Meine Herren Deputierten! Der durch den Berliner Vertrag auf der
Balkan-Halbinsel geschaffene Zustand der Dinge enthielt eine gewisse Bürg-
schaft für unsere nationalen Interessen, wenn auch die Anschauungen der
sechs Signatarmächte in betreff unserer Angelegenheiten nicht ganz zur Durch-
führung gelangten. Nichtsdestoweniger hat sich unser Eifer zur Aufrechter-
haltung dieses Zustandes nicht nur nicht verringert, sondern haben wir in
treuer Achtung für dieselben uns mit der Regelung der Angelegenheiten des
Landes und der Vorbereitung seines Wohlstandes beschäftigt. Als aber die
in der Hauptstadt Ost-Rumeliens zu Anfang des verflossenen Monates vor
sich gegangenen Ereignisse eine Veränderung dieses Zustandes zum äußersten
Schaden auch der bisher für unsere Interessen bestandenen Garantien herbei-
zuführen drohten, konnte meine Regierung nicht umhin, auf die Folgen Be-
dacht zu nehmen, welche die Ereignisse in Philippopel nach sich ziehen könnten.
Sie beeilte sich daher, für die Bereitschaft der militärischen Streitkräfte des
Landes vorzusorgen, indem sie von den ihr von den Staatsgesetzen diesfalls
eingeräumten Rechten Gebrauch machte. Freudigen Herzens gedenke " an
dieser Stelle der Bereitwilligkeit, mit welcher die zu den Fahnen berufenen
Bürger, ihre friedlichen Arbeiten verlassend, dem Rufe gefolgt sind, und mit
Uberzeugung spreche ich die Hoffnung aus, daß sie ihren Pflichten gegen das
Vaterland erfüllen werden, wenn die Notwendigkeit und die nationalen In-
teressen es erheischen werden. Die Störung und die Aufhebung des zwischen
den Völkern der Balkan-Halbinsel geschaffenen Gleichgewichtes heben auch die
Garantien auf, welche die Verträge zur Aufrechterhaltung des Friedens ge-
währleistet haben. Meine Regierung, welche deshalb gezwungen war, den
Weg zu verlassen, den sie bisher innegehalten, hat es nicht verabsäumt, dies
den Großmächten kundzuthun, als diese ihr wohlwollend freundschaftliche
Ratschläge erteilten. Wir hegen aber die Koffuun , daß das Interesse des
Friedens, welchem die Großmächte so sehr ihre Fürsorge widmen, dieselben
veranlassen wird, für die Herstellung eines sicheren Gleichgewichtes zwischen
den die Balkan-Halbinsel bewohnenden Völkern vorzusorgen, denn ein solches
wird diese Völker der Notwendigkeit entheben, sich jeden Augenblick durch
unvorhergesehene Ereignisse von ihren Friedensarbeiten abgezogen zu sehen.
In diesem Stande befinden sich die Dinge bis heute, an dem Tage, an welchem
Sie, meine Herren Deputierten, zu einer außerordentlichen Session einberufen
wurden. Meine Regierung wird Ihnen nicht nur den ordentlichen und den