Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

394 RNebersicht der politischen Entwickelung des Jahres 1885. 
interessiert sei. Die französische Regierung schnitt jede Diskussion 
über diese Frage mit der Erklärung ab, daß Deutschland und 
Osterreich sich der Berufung der Konferenz nach London wider- 
setzen würden, während die Wahl von Paris der Zustimmung 
aller Mächte sicher sei, falls England einwillige. 
Schei- Eine unmittelbare Einwirkung dieser politischen Gruppierung 
sern erder Mächte auf die Stimmung des französischen Volkes war na- 
franz5= türlich nicht zu erwarten. Um einen Umschwung der französischen 
Peen. öffentlichen Meinung zu Gunsten Deutschlands herbeizuführen, dazu 
ungen, bedarf es ganz anderer Impulse. Denkbar ist vorläufig nur eine 
Beeinflussung der leitenden Männer, deren politische Haltung nicht 
lediglich auf Impulsen der Leidenschaft beruht, sondern das Resultat 
verstandesmäßiger Erwägungen ist. Indessen selbst vorausgesetzt, 
daß diese Klassen sich von der Nützlichkeit der Konstellation, Frank- 
reich und Deutschland gegen England, hätten überzeugen lassen, 
— ein französischer Staatsmann kann nicht darnach handeln, was 
er für richtig hält, er muß zunächst sein Augenmerk darauf rich- 
ten, wie er sich an der Spitze der Macht erhalten kann; und in 
diesem Punkt erscheint die deutsche Politik undurchführbar. Der 
Vorwurf des Zusammengehens mit Deutschland oder, wie es in 
Frankreich heißt, der Abhängigkeit vom Fürsten Bismarck, ist eine 
so mächtige Waffe in den Händen der Opposition, daß ihr kein 
leitender Minister auf die Dauer widerstehen kann. Das mußte 
auch Ferry, der Träger dieser Politik, erleben. Sein Verhalten 
zu Deutschland bildete einen dauernden Angriffspunkt, zu seinem 
Sturz trug dieses Verhalten wesentlich bei und mit seinem Sturz 
war der erste Versuch dieser Politik mißglückt. Die Norddeutsche 
Allgemeine Zeitung erklärte am 3. August die Politik der An- 
näherung an Frankreich mit runden Worten für gescheitert und 
der Reichskanzler bestätigte es in seiner Reichstagsrede vom 28. No- 
vember. 
Aus- Hand in Hand mit dem Erkalten der franzöfischen Freund- 
Konnschafft ging eine Ausgleichung der Differenzen mit England. Nach- 
land. dem Ende Februar und Anfang März von beiden Seiten mit den 
schärfsten Waffen gekämpft worden war, wurde durch die Sendung 
des Grafen Bismarck nach London eine Beilegung des Streites
	        
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