Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

Mebersicht der politischen Entwickelung des Jahres 1885. 399 
fürchtete man, daß Spanien jede andere Vermittelung ablehnen, 
oder, wenn sie zu seinen Ungunsten ausfallen sollte, sich derselben 
nicht unterwerfen würde? Mußte man also der Beilegung des 
Karolinenstreits ein solches Opfer bringen, daß man den Aspira- 
tionen des Papsttums, Schiedsrichter in weltlichen Angelegenheiten 
zu sein, Aspirationen, welche seit Jahrhunderten kaum noch ernst- 
lich erhoben waren, in dieser Weise entgegenkam, daß man der 
öffentlichen Meinung des antipäpstlichen, also des herrschenden 
Italiens so vor den Kopf stieß? oder verhielt sich die Sache um- 
gekehrt? Wollte man dem Papst zeigen, was ihm Deutschland zu 
bieten vermöge, wenn er sich mit ihm auf guten Fuß stellte, und 
gab der Karolinenstreit nur die zufällige Handhabe dazu? Welcher 
Gedanke der überwiegende war, ist nicht aufgeklärt. Thatsächlich 
erreicht wurden beide Ziele. Der Karolinenstreit wurde, mit aus- 
drücklicher Umgehung des Rechtspunktes, in einer Weise entschie- 
den, welche beide Teile befriedigen mußte: Spanien bekam die 
Ehre der Souveränität mit der Verpflichtung, auf den Inseln eine * 
geordnete Verwaltung einzurichten (und zu bezahlen), welche starkmit Spa- 
genug ist, um die Ordnung und die erworbenen (ausschließlich 7#e- 
deutschen) Rechte zu schützen; Deutschland erhielt vollkommene 
Handelsfreiheit und das Recht, eine Schiffs= und Kohlenstation 
zu errichten. Einige spanische Stimmen murrten zwar im Stillen 
über diesen Spruch, welcher Deutschland alle Vorteile gewähre, 
Spanien alle Lasten auferlege, indes die spanische öffentliche Mei- 
nung (und um derentwillen war ja der ganze Streit entbrannt) 
war befriedigt: die Souveränität war gerettet, man bildete sich 
ein, den mächtigen deutschen Kanzler besiegt zu haben. In 
Deutschland war das Interesse am eigentlichen Streitobjekt voll- 
ständig hinter das Interesse an der vom Reichskanzler gewählten 
Form der Beilegung des Streits zurückgetreten. Der Brief- 
wechsel zwischen Papst und Reichskanzler und die Verleihung des 
Christusordens bildete lange Zeit den Gegenstand der öffentlichen 
Diskussion; die päpstliche Vermittelungsnote und das Protokoll 
vom 17. Dezember werden nur wenige durchgelesen haben. Auch 
die an die päpstliche Vermittelung geknüpften Befürchtungen trafen 
nicht ein: Italien beruhigte sich bald, da es einsah, daß das
	        
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