Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Febr. 7. - 9.) 31
7. Februar. (Kamerun.) Der Reichskanzler erhebt bei der
englischen Regierung Beschwerde über das Verhalten der englischen
Beamten nach Verkündung des deutschen Protektorats über Kamerun
und verlangt die Abberufung des englischen Vize-Konsuls Buchan;
er erklärt sich aber bereit, auf den Vorschlag Lord Granvilles ein-
zugehen und in Verhandlungen über die Abgrenzung der beiderseitigen
Gebiete einzutreten.
Gegenüber dem seitens des englischen Ministers gemachten Vorwurf,
daß sich der Konflikt zwischen den beiden Staaten durch eine rechtzeitige
Mitteilung des Zweckes der Entsendung Nachtigalls habe vermeiden lassen,
heißt es in der Depesche: „Was die Bemerkung in Lord Granville's Depesche
betrifft, daß Ihrer Majestät Regierung für das Vorgehen Dr. Nachtigalls
in Kamerun nicht vorbereitet gewesen sei, so kann ich nur auf die That-
sachen hinweisen, die sich seit dem Bekanntwerden unserer ersten Annexionen
ereignet haben und den Beweis liefern, daß englische Beamte deutsche
Acquisitionen verhindert haben würden, wenn im voraus die Punkte bekannt
gewesen wären, wo sie gemacht werden sollten.“ Als besonderen Beweis für
diese Behauptung führt Fürst Bismarck den Umstand an, daß, sobald Konsul
Hewett bei seiner Ankunft in Benin am 15. Juli von dem Vorgehen
Dr. Nachtigalls im Kamerun hörte, er dorthin eilte, um den deutschen
Annexionen zuvorzukommen, und daß er gleich darauf an der Küste zwischen
Bimbia und Lagos alles that, was er nur konnte, um eine Ausdehnung der
deutschen Besitzungen an der Küste zu verhindern. (St A. 45, 8538.)
7. Februar. (Sozialistengesetz.) Über das Verhalten der
deutsch-freisinnigen Partei bei der zweiten Lesung des Sozialisten-
gesetzes (8.— 10. Mai 1884) veröffentlicht der ehemalige fortschritt-
liche Abgeordnete Kämpffer in der „Leipziger Bürger-Zeitung“ eine
Korrespondenz mit dem Redakteur der Berliner „Volks-Zeitung“
(Phillips), aus welcher sich ergibt, daß die Parteileitung der Fort-
schrittspartei bei der Abstimmung über das Sozialistengesetz ver-
schiedene als Gegner des Gesetzes bekannte Mitglieder der Partei
brieflich benachrichtigt hat, „daß ihre Anwesenheit bei der Abstim-
mung über das Gesetz nicht erforderlich sei.“
9. Februar. (Getreide-Zölle.) Die Delegierten-Konferenz
Deutscher Seestädte spricht sich einstimmig gegen jede Erhöhung der
Getreidezölle aus,
und zwar in Erwägung 1) daß die Erhöhung der Getreidezölle nur
einer geringen Zahl augenblicklich im Besitz befindlicher Großgrundbesitzer
Nutzen verschafft, welcher durch weitere Steigerung des Grundwertes resp.
der Pachten in kurzer Zeit in seiner angeblichen Wirkung auf die Notlage
der Landwirtschaft wieder aufgehoben wird; 2) daß die Ernährung zumal
der minder wohlhabenden und der arbeitenden Klassen der Bevölkerung
durch die Erhöhung der Getreidezölle erheblich verteuert und verschlechtert
wird und die industriellen Kreise Deutschlands im weitesten Umfange in
ihrer Leistungsfähigkeit geschädigt werden, 3) daß wichtige industrielle, Handels-
und Schifffahrts-Interessen in bedenklicher Weise zum Nachteil der gesamten
Volkswohlfahrt geschädigt werden.