Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 5.—6.) 85
nahme der Mitgarantie einer ägyptischen Anleihe seitens des Reichs mit
Rücksicht auf die noch schwebenden Verhandlungen wegen der Ausführungs-
bestimmungen bis auf weiteres vorbehalten bleibt. Der Reichskanzler.
v. Bismarck.“ ·
5. Mai. (Strafprozeß.) Bundesrat: nimmt den Entwurf
eines Gesetzes, betr. die Abänderung und Ergänzung des Gerichts-
verfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung unter Ablehnung
der Wiedereinführung der Berufung an.
Der Entwurf, welcher am 9. Mai dem Reichstag zugeht, von diesem
aber nicht mehr in Beratung genommen wird, betrifft 4 Punkte: Erleich-
terung des Geschwornendienstes durch Herabsetzung der Zahl der Geschwornen
von 12 auf 7 (nach dem ursprünglichen Antrage Preußens sollte die Zahl 6
betragen) und durch Beschränkung der Kompetenz der Schwurgerichte; Be-
seitigung der Institution des Präsidiums bei den Kollegialgerichten und Über-
tragung der Funktionen desselben (Verteilung der Richter auf die einzelnen
Kammern) auf die Landesjustizverwaltungen; Erweiterung des Kontumazial-
verfahrens und Änderung der Beeidigung der Zeugen (Beeidigung bei der
ersten Vernehmung, also schon im Vorverfahren, aber Beeidigung nach der
Vernehmung).
5. Mai. (Hessen.) Die I. Kammer nimmt mit allen gegen
3 Stimmen den folgenden Antrag, betr. die Überweisung des auf
Hessen entfallenden Anteils an den erhöhten Reichssteuern, an die
Kommunen an:
„Die Kammer wolle der Regierung zur Erwägung anheimgeben, in-
wieweit der auf das Großherzogtum entfallende Anteil an den erhöhten
Zöllen des Reiches nach Abzug des zu leistenden Matrikularbeitrages den
Kreisen zu überweisen sei.“ Ursprünglich war der Antrag folgendermaßen
gestellt: „Großh. Regierung um Vorlage eines Gesetzentwurfs zu ersuchen,
wodurch der auf das Großherzogtum entfallende Anteil der indirekten Reichs-
steuern (Zölle), nachdem der von dem Großherzogtum an das Reich zu zah-
lende Matrikularbeitrag in Abzug gebracht worden, den Gemeinden zur Be-
streitung ihrer Lasten, insbesondere der Schullasten, überwiesen wird.“ In
der Begründung zu diesem Antrag heißt es: „Der Zweck der gedachten Er-
höhung ist die Aufbesserung der wirtschaftlichen Notlage, in der sich heut-
zutage fast alle Teile der produzierenden Klassen befinden, freilich in
erster Linie durch Schutz der heimischen Produktion. Derselbe würde aber
doch nur teilweise erreicht werden, wenn nicht die durch diese Zollerhöhung
erzielte Mehreinnahme zur teilweisen Entlastung der Bevölkerung verwandt
würde. Unter allen öffentlichen Lasten sind aber sowohl in den Städten wie
auf dem flachen Lande die Kommunallasten mit die drückendsten und ist in
den meisten Gemeinden für die nächste Zukunft eher eine Steigerung, als
eine Minderung zu erwarten.“
Die Regierung bekämpft den Antrag in seiner ursprünglichen Form,
wonach sie direkt um eine diesbezügliche Vorlage ersucht wird, der Finanz-
minister Weber hebt dabei hervor, daß das Budget nicht bilanziere, indem
nicht nur die Matrikularbeiträge zu niedrig eingestellt seien, sondern auch die
Einnahmen aus Tilgungsquoten um 263,000 M zurückgegangen seien, was
alles im Verein mit den Erhöhungen einiger Budgetposten die Deckung von
700,000 M im Budget für das laufende Finanzjahr erfordere.
6. Mai. (Polen-Ausweisungen.) Abgeordnetenhaus: