12 HNaos deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 15—16.)
im gleichen Umfange sichtbar gemacht werden müßten; aus dieser Erwägung
verbot sich eine Zuwendung zu Gunsten der Arbeiter, weil eine solche nur
einzelnen Landesteilen zu gute hätte kommen können. Eine Verwendung zu
Gunsten der Theologen fand in der Verschiedenheit der Konfessionen ein
Hindernis; dagegen bedarf das höhere Lehrfach auch noch deshalb einer be-
sondern Unterstützung, weil es die Pflegstätte des nationalen Gedankens bildet
und in seiner idealen Erscheinung, ohne welche der Lehrerstand seinem mühe-
vollen und selten einträglichen Berufe nicht würde treu bleiben können, ein
sittliches Gegengewicht zu dem Materialismus der Zeit darstellt. Die Erhal-
tung und Pflege dieser Gesinnung bei der Jugend liegt in den Händen der
Lehrer und ist für unsere nationale Entwicklung von hoher Bedeutung. Von
besonderer Wichtigkeit ist es für mich, die staatliche Aufsicht über die Stif-
tung einer Stelle anvertraut zu wissen, an welcher ich einen festen Anhalt
für die Pflege nationaler Gesinnung, unabhängig von dem wechselnden Ein-
fluß der Parteien, für die Zukunft erhoffen darf. Ohne nähere Bestimmung
würde diese staatliche Aufsicht Behörden zufallen, welche in ihrer politischen
Zusammenschung und Gesinnung dem Wechsel unterworfen sind und von
nderungen im Systeme der Regierung beeinflußt werden. Bei dem jewei-
ligen Präsidenten des prenßischen Herrenhauses darf man mehr als bei andern
Stellen Unabhängigkeit von wechselnden politischen Strömungen voraussetzen.
Die Berechtigung Sr. Majestät zur Bestellung desselben als Aufsichtsorgan
hat in der allerhöchsten Kabinetsordre, welche das Statut bestätigt hat, ihren
bestimmten Ausdruck gefunden. Wenn ich mich der Hoffnung hingeben darf,
daß Ew. Durchlaucht meiner Auffassung im wesentlichen beipflichten, so bin
ich sicher, daß bei Hochderselben meine Bitte, die durch das Statut über-
tragene Aufsicht als derzeitiger erster Präsident des Herrenhauses übernehmen
zu wollen, eine geneigte Zustimmung finden wird. Ich bitte zugleich, meinen
Vorschlag als ein Zeichen meiner ganz besondern Verehrung aufzufassen, mit
welcher ich bin Ew. Durchlaucht ergebenster Diener v. Bismarck.
15.—16. Januar. Reichstag: Verhandlung über die Polen-
Interpellation und die dazu eingebrachten Anträge.
Auf der Tagesordnung steht die am 1. Dezember 1885 infolge der
kaiserlichen Botschaft von der Tagesordnung asgefte Besprechung der In-
terpellation der Abgg. Dr. v. Jazdzewski und Genossen, betreffend die Aus-
weisung Nichtdeutscher aus den östlichen Provinzen des preußischen Staates.
Dieselbe lautet wie folgt: „In den letzten Monaten wurden viele Tausende
von fremden Unterthanen, namentlich aus den östlichen Provinzen des preußi-
schen Staates, ausgewiesen oder für die nächste Zukunft damit bedroht. Wir
richten an die Reichsregierung die Anfrage, ob diese Thatsache und ihre Be-
gründung zu ihrer Kenntnis gelangt ist, und ob dieselbe bereits Schritte ge-
than hat oder noch zu thun beabsichtigt, um der weiteren Durchführung der
verhängten Maßregel entgegenzuwirken."“
In Verbindung damit werden folgende Anträge beraten:
I. Liebknecht (Soz.) und Genossen. Der Reichstag wolle beschließen: In
Erwägung, daß die Massenausweisungen von russischen und österreichischen
Staatsangehörigen polnischer und Fufficher Nation geeignet sind, völkerrecht-
liche Verwickelungen mit dem Ausland herbeizuführen; in Erwägung, daß
die völkerrechtliche Vertretung Deutschlands laut Artikel 11 der Reichsver-
fassung Reichsangelegenheit ist; in fernerer Erwägung, daß die Fremden-
polizei, in deren Bereich jene Ausweisungen fallen, nach Artikel 4 der Reichsver-
fassung der „Beaufsichtigung des Reichs und der Gesetzgebung desselben“,
mithin der Kompetenz des Reichstags unterliegt; in Erwägung endlich, daß
die Interessen der Deutschen im Ausland, welche nach Artikel 3 der Reichs-