Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

Die Österreichisch-Ungarische Monarchie. (April 2. Hälfte u. 30.) 249 
„Indem wir für die Zuweisung des Antrages des Prinzen Liechten- 
stein stimmen, folgen wir einer alten Tradition, alle Anträge, die rechtlich 
und moralisch zulässig sind und von einer größeren Partei ausgehen, in der 
ersten Lesung anzunehmen. So haben wir auch für die Zuweisung des An- 
trages Coronini, der dem Parlamente ein wichtiges Recht nimmt, und des 
Antrages Scharschmid gestimmt. Um so mehr tun wir es für den Antrag 
einer verbündeten Partei und entsprechen dadurch der echt liberalen Richtung, 
welche auch eine fremde Meinung hört und ihr Gelegenheit geben will, die 
Gründe für dieselbe zu entwickeln. Es würde aber derjenige im Irrtum sich 
befinden, der daraus schließen wollte, daß wir mit dem Inhalte dieses An- 
trages einverstanden sind. Wir halten denselben und namentlich die die 
konzessionelle Schule betreffende Bestimmung für schädlich, insbesondere für 
unser Land. Denn bei den gegenwärtigen Verhältnissen hat ein pflichteifriger 
Klerus genug Spielraum, um an der religiösen Erziehung zu arbeiten. Auch 
würde die Annahme dieses Antrages unsere mühsam begonnene Arbeit stören, 
die jüdische Bevölkerung mit dem Volke, in dessen Mitte sie lebt, sprachlich 
und sozial zu assimilieren. Endlich gibt der Antrag dem Klerus das Recht 
der Mitaussicht, dessen Grenzen nicht bestimmt sind und auf welches wir 
nicht eingehen können. In diesem Sinne stimmen wir für die Zuweisung 
dieses Antrages." 
2. Hälfte April. (Österreich: Konflikt zwischen der 
Regierung und Bischof Stroßmayer.) Bischof Stroßmayer 
ernennt einen wegen Aufreizung und Aufwiegelung verurteilten 
Kaplan zum Vize-Direktor des bischöflichen Seminars in Diakovar. 
Diese Ernennung erfolgt kurz nachdem der betreffende Kaplan, der 
gegen seine Verurteilung die Berufung einlegte, auf freien Fuß 
gesetzt wurde. Seither wurde das Urteil der ersten Instanz auch 
vom Obersten Gerichtshofe bestätigt; obschon es jedoch somit Rechts- 
kraft erhielt, obschon es ferner dem Bischof Stroßmayer amtlich 
mitgeteilt wurde, befindet sich der Kaplan noch in Amt und Würden. 
30. April. (Österreich: Abgeordnetenhaus.) 
Beim Unterrichtsbudget nimmt Abg. Krzepak, ein Vertreter der 
deutsch-böhm. Bauernschaft, das Wort gegen das System Gautsch und den 
Liechtensteinschen Schulantrag, für dessen Durchführung Feudale, Klerikale, 
Demokraten und Antisemiten zusammengehen wollten. Was nutzten Riegers 
Versicherungen über die Bedeutung der Schulbildung, wenn er bereit sei, die 
Schule dem Prinzen Liechtenstein auszuliefern. 
Ebenso wendet sich Abg. Gerold (jungtschech.) gegen den Kultus- 
minister. Eine irgendwelche Unterstützung des nationalen Gedankens hätten 
die Tschechen von diesem Ministerium nicht zu erwarten. Herr v. Gautsch 
habe seine Rolle in diesem Parlamente ausgespielt. 
In demselben oppositionellen Ton gegen Herrn v. Gautsch äußert sich 
Abg. Rieger (alttschech.). Er bezeichnet denselben als den wirksamsten För- 
derer des radikalen Jungtschechentums und erklärt in lebhaftem Tone, gegen 
den Minister gewendet: „Wir sind nicht gewillt, uns länger abweisen zu 
lassen.“ 
Abg. Frhr. v. Dumreicher (d.-lib.) erklärt sich ebenfalls gegen das 
System Gautsch, das in der Verdrängung der österreichischen Traditionen in 
Schule und Amt bestehe. Was seit Jahrhunderten für Staatsweisheit ge- 
golten, erscheine jetzt als Vorurteil und deutsches Herrschafsgelüste. Böhmen 
 
	        
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