250 Die Österreichisch-Ungarische Monarchie. (Mai 1.)
als selbständiger politischer Körper slawischen Gepräges werde sich als ein
Herd der Beunruhigung für ganz Mitteleuropa erweisen.
1. Mai. (Österreich: Abgeordnetenhaus.) Fortsetzung
der Debatte über das Unterrichts-Budget.
Minister v. Gautsch wendet sich gegen die Angriffe, die von allen
Seiten des Hauses gegen ihn erhoben worden seien. Die Anfeindung, welche
er erfahre, beruhe auf der Devise, für die er kämpfe: „Das Ganze und die
Teile; dem Reiche, was des Reiches, den Ländern, was der Länder ist.“
Daß ihm die Förderung jeder Nationalität, soweit sich dieselbe mit dem
Reichsgedanken vertrage, erwünscht sei, solle man ihm glauben. Gegen die
Errichtung einer tschechisch-theologischen Fakultät in Prag habe er so wenig
prinzipielle Bedenken, wie gegen die Aufhebung des Staatsprüfungs-Erlasses,
welcher für die juristischen Staatsprüfungen die Kenntnis der deutschen
Sprache fordert, wenigstens bezüglich der rechtshistorischen Staatsprüfung.
Den Polen macht der Minister Hoffnung auf die Errichtung einer medizini-
schen Fakultät in Lemberg, bringt aber die Erfüllung dieser Hoffnung mit
der Bewilligung der Branntweinsteuer in Verbindung, deren Erträgnisse auch
für solche Unterrichtszwecke verwendet werden sollten. Den Liechtensteinschen
Antrag berührend, bemerkt er, er könne eine Herabdrückung des Bildungs-
niveaus überhaupt und unter gar keinen Umständen zugeben. Dies gelte
nicht bloß gegenüber den Mittelschulen etwa.
Der Minister schließt unter tiefem Schweigen des Hauses. Dann
erhebt sich große Unruhe, bis der nächste Redner das Wort ergreift. Wäh-
rend im Saal die Debatte ihren Fortgang nimmt, versammelt sich die par-
lamentarische Kommission der Rechten, und auch die Minister treten zu einer
Beratung zusammen. In der Fortsetzung der Debatte sprechen die Abg.
Klum und Hevera ihr Mißtrauen gegen die Versprechungen des Ministers
aus; der letztere erklärt, das Unterrichts-Budget verweigern zu wollen.
Was die Stellung der Parteien, wie sie im Laufe der wei-
teren Verhandlungen bekannt geworden, anlangt, so dringt als-
bald in die Öffentlichkeit,
der Tschechen-Klub habe den Beschluß gefaßt, es seinen Mitgliedern
freizustellen, ob sie für das Budget des Unterrichtsministers stimmen wollen
und siebzehn Mitglieder desselben haben sich durch Unterschrift verpflichtet,
dagegen zu stimmen. Der größere Teil des Hohenwart-Klubs mache seine
Abstimmung von den Tschechen abhängig; der Liechtenstein-Klub, durch die
gestrige Erklärung des Unterrichtsministers erbittert, scheint diese Opposition
zu verstärken. Nur die Polen treten für den Unterrichtsminister ein. Auf
der Linken herrscht gleichfalls Spaltung. Der deutsche Klub und die deutsch-
nationale Vereinigung wollen gegen, der deutsch-österreichische Klub, und wie
es scheint auch dieser nicht vollzählig, will für das Unterrichts-Budget stimmen.
Dagegen hat die Regierung nicht bloß das Verbleiben des Herrn v. Gautsch,
sondern des ganzen Kabinets von der Bewilligung des Unterrichts-Budgets
abhängig gemacht.
Des weiteren werden dann noch folgende Details bekannt:
Graf Taaffe führte am 2. Mai morgens die Verhandlungen mit den
Mitgliedern des Exekutiv-Komitees, Graf Hohenwart, Ritter v. Grocholski
und Fürst Czartoryski. Er erklärte, die Majorität müsse sich fügen, wenn
sie das System nicht zum Sturze bringen wolle, und müsse dem Unterrichts-
minister die Bedürfnisse für sein Ressort bewilligen. Er, der Minister-Prä-
sident, könne nur bis zu einer bestimmten Grenze auf das Ressort des Unter-