Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April Anfang.) 71
Der Gnaden-Erlaß findet fast in der gesamten deutschen Presse
lebhaften Beifall. Das „Berl. Tageblatt“ z. B. schreibt:
Verurteilungen gegen sozialdemokratische Ausschreitungen sind, soweit
sie lediglich in den Bereich des Preß- und Vereinsgesetzes fallen, in den
Gnadenakt mit aufgenommen; ausgeschlossen sind dagegen Verurteilungen, die
auf Grund des Sozialistengesetzes, sowie der strafgesetzlichen Bestimmungen
über Hoch= und Landesverrat erfolgt sind. Es waren ohne Zweifel Er=
wägungen hochpolitischer Natur, die dem Kaiser eine derartige Begrenzung
der Amnestie nahe legten. Aber wie dem auch sei, der Gnadenerlaß stellt
sich als ein Akt der Versöhnung dar.
Nicht einverstanden mit der Ausschließung der wegen Ver-
gehen gegen das Sozialistengesetz Verurteilten von der Amnestie
spricht sich die freisinnige Berliner Zeitung aus und in demselben
Sinne äußert sich über den Ausschluß der Sozialdemokratie die
Volkszeitung. Der Dank gegen Kaiser Friedrich werde dadurch
indeß nicht um ein Atom gemindert; die Thatsache erkläre sich viel-
mehr daraus, daß die Amnestie nicht nur von Kaiser Friedrich, son-
dern auch von sämtlichen preußischen Staatsministern unterzeichnett ist.
Anfang April. (Berliner Dom-Umbau.) Der Reichs-
anzeiger veröffentlicht folgende Allerhöchste Kabinets-Ordre an den
Kultusminister:
Ich will, daß sofort die Frage erörtert werde, wie durch einen Um-
bau des gegenwärtigen Doms in Berlin ein würdiges, der bedeutend ange-
wachsenen Zahl seiner Gemeinde-Glieder entsprechendes Gotteshaus, welches
der Haupt= und Residenzstadt zur Zierde gereicht, geschaffen werden kann.
Sie haben hiernach das Weitere zu veranlassen,
Charlottenburg, den 29. März 1888. Friedrich.
Anfang April. (Reform des Infanterie-Exerzier-Re-
glements.) Das Militär-Wochenblatt veröffentlicht nachstehende
an den Kriegsminister gerichtete Allerhöchste Kabinets-Ordre:
Gleich Meines in Gott ruhenden Herrn Vaters Majestät will Ich
unverweilt und unausgesetzt Meiner Armee Meine Fürsorge zuwenden. Das
von Seiner Majestät dem Kaiser und Könige Wilhelm gegebene und wieder-
holt zeitgemäß geänderte Exerzier-Reglement der Infanterie, welches sich bis
zum heutigen Tage in seinen Grundsätzen durchaus bewährt hat, wird bei
den Ansprüchen, welche die fortgeschrittene Technik der Feuerwaffen jetzt an
den Soldaten stellt, einer Vereinfachung bedürfen, um Zeit und Raum zu
schaffen für eine noch gründlichere Einzelausbildung und für eine einheit-
lichere und strengere Erziehung in der Feuer= und Gefechts-Disziplin. In
diesem Sinne will Ich als für künftig zum Wegfall besonders geeignet vor
anderem die dreigliedrige Aufstellung bezeichnen, welche im Kriege nicht ge-
braucht wird und im Frieden zu entbehren ist. Jedoch will Ich die hier-
nach erforderlichen Änderungen des Reglements so gestellt wissen, daß zum
Dienst zur Fahne einberufene Mannschaften des Beurlaubtenstandes sich ohne
besondere Einübung in der Schule des Reglements zurechtfinden. Ich sehe
in dieser Angelegenheit baldigst Ihrem Vortrage entgegen.
Charlottenburg, den 26. März 1888. gez. Friedrich.