Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

71 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April Anf.— Mitte.) 
der Prinz Alexander als einen character indelebilis das Stempelzeichen an 
der Stirn, das ihm die bulgarische Fürstenkrone nun einmal aufgedrückt hat, 
selbst jetzt noch, wo der Prinz entthront ist. Denn immerhin bleibt er der 
Mann, auf dessen Rückkehr die Bulgaren rechnen, war er es doch in erster 
Linie, der die Bulgaren dem russischen Einfluß entzogen und sie damit in 
den heftigsten Gegensatz zu den russischen Machthabern gebracht hat. Er 
wird sich also nie der schweren moralischen Verpflichtung entziehen können, 
den Bulgaren als begeisternder Feldherr zu Hülfe zu kommen, falls diese in 
einem Kriege mit Rußland, die militärische Unfähigkeit des Koburgers er- 
kennend, seine Hülfe in der Not beanspruchen. Diese moralische Verpflichtung, 
die dem Prinzen von Battenberg obliegt, verhindert es, daß er, so lange die 
bulgarische Frage in den Augen aller Großmächte ungelöst bleibt, von einem 
andern Gesichtspunkte, als dem politischen, beurteilt werden kann. Daraus 
aber ergibt sich mit Notwendigkeit, daß eine Verbindung mit einer deutschen 
Kaisertochter einfach ein Ding der Unmöglichkeit ist. Die deutsche Politik 
wurzelt in erster Linie in dem Bestreben, alles zu verhindern, was auch nur 
den geringsten Anlaß bieten könnte, Argwohn gegen seine Haltung zu erwecken. 
Deutschland muß der bulgarischen Frage gegenüber, wie der Fürst Bismarck 
im deutschen Reichstag so klar und überzeugend ausgeführt hat, so lange 
es sich lediglich um Bulgarien handelt, vollständig interesselos dastehen. Diese 
Interesselosigkeit allein bietet der deutschen Regierung die Handhabe, in 
gleichem Maße das volle Vertrauen der beiden in der bulgarischen Frage 
einander am meisten gegenüberstehenden Regierungen zu erhalten. Nur dies 
allseitige Vertrauen allein kann es ermöglichen, daß Deutschland nach beiden 
Seiten seine guten und tatkräftigen Dienste zur dauernden Wahrung des 
europäischen Friedens in einer so verwickelten Frage mit Aussicht auf Erfolg 
anbieten kann. Dieses Vertrauen würde selbstverständlich mit Einem Schlage 
für lange Jahre hinaus zerstört werden, wenn der vom Zaren am meisten 
gehaßte persönliche Gegner der Schwiegersohn des deutschen Kaisers würde. 
Die Einbuße an moralischem Einfluß, die der deutschen Regierung daraus 
erwachsen muß, liegt auf der Hand. Jeder Deutsche, der sein Vaterland 
liebt, hat sich längst von der Richtigkeit dieser Beweisführung überzeugen 
müssen. Auch Prinz Alexander von Battenberg ist ein Deutscher und kann 
als deutscher Patriot keinen Schritt tun, der ihm persönlich vielleicht zur 
Auszeichnung, dem deutschen Vaterlande aber am wenigsten zum Vorteile 
gereichen würde. Wir sind in früheren Jahren wiederholt wegen unserer 
„Battenbergerei“ aufs schärfste angegriffen und verurteilt worden; um so 
mehr können wir heute betonen, daß wir die Vaterlandsliebe und den klugen 
Verstand des Prinzen so hoch schätzen, daß wir keinen Augenblick daran 
glauben können, daß er im Ernste eine Bewerbung versuchen wird, die, wenn 
sie erfolgreich wäre, notwendig das deutsche Volk um den deutschen Reichs- 
kanzler bringen würde. 
Wie die freisinnige Presse das Gerücht auffaßte, zeigen zwei 
Artikel der Freisinnigen Zeitung und des Berliner Tageblattes. 
Nachdem dieses geäußert hat, es könne wohl keinem Zweifel unter- 
liegen, daß die Demissionsgerüchte einen ernsteren Hintergrund haben, 
führt es weiter aus, daß der darin vorgeschobene Grund nicht der 
wahre sein könne. Es sei undenkbar, 
„daß Fürst Bismarck, der sich stets als getreuen Vasallen des Kaiser- 
hauses betrachtet und bezeichnet hat, sich zu dessen Vormund aufwerfen und 
sich berufen fühlen könnte, in einer derartigen inneren Angelegenheit der 
 
	        
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