Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechster Jahrgang. 1890. (31)

188 Bie Gesterreichisch-Angarische Monarhie. (Jan. 27.) 
böhmischer Bevölkerung, in welchen öffentliche Volksschulen nur mit deutscher 
oder nur mit böhmischer Unterrichtssprache bestehen, das Bedürfnis nach 
Unterricht mittelst der zweiten Landessprache vorhanden ist, demselben durch 
Errichtung selbständiger, öffentlicher, allgemeiner Volksschulen in dieser 
Unterrichtssprache zu entsprechen ist. Die Art der Erweisung dieses Bedürf- 
nisses wurde gleichzeitig festgestellt. 
2) Der Landeskulturrat soll bestehen aus einer böhmischen und einer 
dentschen Sektion und dem Präsidialkollegium für gemeinsame Angelegen- 
heiten. Jede Sektion besteht aus einer Delegiertenversammlung und dem 
Sektionsausschusse. Die Delegiertenversammlungen bestehen aus gewählten 
Vertretern der landwirtschaftlichen Vereine, entsprechend der Nationalität des 
Bezirkes. Der Präsident des Landeskulturrates wird vom Kaiser ernannt 
und führt den Vorsitz im Präsidialkollegium wie in den Delegiertenversamm- 
lungen und Sektionsausschüssen. 
3) Durch Ausscheidung der notwendigen Anzahl von Steuerbezirken 
aus dem Reichenberger und Prager Handelskammergebiete ist ein neues 
Handelskammergebiet im Osten Böhmens zu errichten. Die Regierung stimmt 
dem Antrage zu, daß die Ausscheidung und Zuweisung einzelner Bezirke bei 
anderen Handelskammern Böhmens gleichzeitig in Erwägung gezogen werden 
soll, ebenso den Anträgen auf Schaffung entsprechender Vertretung der neu 
zu bildenden Handels= und Gewerbekammer im Reichsrate und Landtage 
Böhmens. Aus diesem Anlasse ist eine Revision der Wahlordnung der von 
der territorialen Aenderung berührten Handelskammern veranlaßt. 
4) Die Bezirks= und Kreisgerichte werden mit Berücksichtigung der 
Münsche der beteiligten Bevölkerung umgestaltet werden, daß, soweit möglich, 
ein Gerichtssprengel nur Gemeinden einer und derselben Nationalität um- 
faßt. Die Regierung wird nötigenfalls zur Erreichung dieses Zweckes die 
erforderliche Vermehrung der Bezirks= und Kreisgerichte, soweit die Finanz- 
lage es gestattet, successive vornehmen. Die Einleitung der hierauf bezüg- 
lichen Verhandlungen wird einer bei dem Oberlandesgerichte in Prag mit 
Zuziehung von Vertrauensmännern einzusetzenden Kommission übertragen, 
deren Anträge dem Landtage, soweit möglich, in dessen nächster Session zur 
Begutachtung vorgelegt werden sollen. Die legislative Behandlung wird 
weitere Konsequenzen ziehen. Aus diesem Anlaß sind auch die polilischen 
Bezirke so viel wie möglich der Nationalität der Bewohner entsprechend ab- 
zugrenzen. Bei dem Oberlandesgerichte in Prag wird bei Besetzung von 
15 Ratsstellen unter den systemisierten 41 vom Erfordernisse der Kenntnis 
der böhmischen Sprache abgesehen, bei den übrigen 26 an dem Erfordernisse 
der Kenntnis beider Landessprachen festgehalten. Aus jeder dieser beiden 
Gruppen ist eine Personal-Disziplinar-Kommission zu bilden, jeder einzelnen 
derselben sind Personal= und Disziplinar-Angelegenheiten der Gerichte in dem 
vorwiegend von Böhmen, bezw. von Deutschen bewohnten Gebiete zuzuweisen. 
Diese beiden Kommissionen haben auch die Vorschläge zur Besetzung der 
Oberlandesgerichtsstellen ihrer Gruppe zu beraten. Gleicherweise bilden die 
Oberlandesgerichtsräte jeder dieser beiden Gruppen je einen Disziplinarsenat, 
welcher für richterliche Beamte der Gerichte in dem vorwiegend von Böhmen, 
bezw. von Deutschen bewohnten Gebiet fungiert. Sobald die Aenderungen 
in der Abgrenzung der Gerichtssprengel durchgeführt sind, ist die Verordnung 
betreffend den Gebrauch der Landessprachen im Verkehre mit den gerichts- 
und staatsanwaltschaftlichen Behörden, mit den Parteien und mit den auto- 
nomen Behörden zu revidieren, wobei beide Parteien ihren grundsätzlichen 
Standpunkt bei den diesbezüglichen Verhandlungen wahren. 
5) Nachdem die Regierung erklärt, für den vom böhmischen Landtag 
beschlossenen Gesetzentwurf über den Gebrauch der Landessprachen bei auto- 
 
	        
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